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mit bis Naupaktos? Dann trug also jeder eine Leiche?! Und endlich nach Nietzsche müssen sich die Mörder endlich entschliessen, den Leichnam ins Meer zu werfen: 'Sie wussten es wol, das war eine Gottlosigkeit.... Das ist aber gerade ihr Verhängnis; sie müssen, durch den unheimlichen Hund aufgereizt, endlich bewusst eine Gottlosigkeit begehen'. Sollten sie nicht auch schon vorher gewusst haben, dass es eine Gottlosigkeit war, den Gastfreund zu tödten? Hatten sie vorher nicht mehr Zeit, sich dies zum Bewusstsein zu bringen, als sie nach vollbrachtem Morde hatten, um sich der Folgen des neuen Frevels bewusst zu werden? Warum soll gerade und erst in dieser bewussten That ihr Verhängnis bestehen? Und wenn sie hier zu dieser bewussten Gottlosigkeit erst durch den unheimlichen Hund veranlasst werden, weshalb fügen sie zu dem Frevel neuen Frevel hinzu, indem sie auch noch das Poseidonsfest besuchen? Das wird nicht genug psychologisch motivirt.

Nach alledem wird man Nietzsches Ansicht kaum zustimmen können und daher annehmen müssen, dass Pausanias mit Naupaktos wenn anders bei der άcéßeia an die Befleckung des Meeres zu denken ist allgemein und etwas ungenau den Ort sowol des Mordes als des Hineinwerfens, also kurz die Gegend um Naupaktos d. h. Oineon bezeichnet hat.

Zweitens: autóet bezieht sich auf das des Nachdrucks wegen vorangesetzte Μολυκρίαν und gehört zu ἐγένετο, wobei es durch den nachfolgenden Dativ T Moλuкpíą noch einmal aufgenommen wird: und dort traf sie, welche an Poseidon gefrevelt hatten, in Molykria das Gericht'. Dass auf ein autóei die genaue Ortsangabe im Dativ folgt, ist sprachlich ganz gewöhnlich 14). Aceẞncaci eic Пoceidŵva würde hier ganz selbständig stehen, ohne direkte Angabe, wo die acéßeia stattgefunden hat; sie könnte also auch in dem (nicht zu Molykria, sondern) anderswo stattgehabten Versenken des Leichnams bestehen. Aber diese Isolirung der Worte zwischen den zusammengehörigen Ausdrücken αὐτόθι und τῇ Μολυκρίᾳ ist gezwungen, und für die nähere Bestimmung der άcéßeia, bei der man sich doch etwas denken will und muss, gäbe nun auch nicht einmal mehr autóei durch Bezeichnung der Lokalität des Frevels einen Anhalt; man könnte eben an alles zugleich denken: an den Mord, an das Versenken ins Meer, an das Besuchen des Festes.

Drittens: αὐτόθι bezieht sich auf das Μολυκρία, welches vorausgeht und nachfolgt, gehört aber zugleich zu aceẞńcαciv: und sie, welche dort an Poseidon gefrevelt hatten, traf (dort) in Molykria das Gericht'. Alsdann ist der Frevel in Moλuкpíα selbst, als am

44) Plut. Thes. 5: αὐτόθι κατοικοῦσαν ἐν Κρομμυώνι Pyrrh. 1: αὐτόθι κατοικεῖν ἐν Μολoccoic. Diog. Laert. II, 54: αὐτόθι ἐν τῇ Σπάρτη. Ι. Β 237: αὐτοῦ ἐνὶ Τροίη. Ueber das fehlende ἐν bei Μολυκρίᾳ: Matthiae griech. Gramm. § 406b. 577, 2. Füglich könnte man den Dativ auch als Glossem zu auтóði ansehen.

Orte des Festes, daher wol auch am Feste selbst geschehen und bestand in dem Besuche desselben. An den Festen durften ja nur unbefleckte, mit keinem Verbrechen belastete Personen theilnehmen; Unreine (evareîc) wurden ferngehalten; selbst dann mied der Herr die heiligen Orte, wenn er einen ihm gehörigen Sklaven getödtet hatte 45). Die Mörder kennen nicht die heilige Scheu; auf seines eignen Tempels Schwelle trotzen sie dem Gotte, mengen sich dreist in die Menschenwellen, die sich zu Poseidons Feste drängen, weil sie hoffen, hier am leichtesten unbemerkt zu bleiben, vielleicht sogar, um nachher den Verdacht des Mordes durch den Beweis des Alibi zu entkräften. Aber gerade hier trifft sie das Verhängnis: der Gott, dessen heiliges Fest sie, die mit Blutschuld Befleckten, entweiht, bringt ihre Schandthat an den Tag. — Das Einzige, was gegen diese Auffassung geltend gemacht werden könnte, ist, dass doch vor dem Besuch des Festes die acéßeia des Versenkens des Leichnams vorausgegangen war, und dass also doch die erste acéßeia in der Darstellung auch die hauptsächlichste Berücksichtigung beanspruchen muss. Allein der Leichnam kann ja ins Meer geworfen sein, das Fest begann, ferner aber war es doch sicher eine Steigerung der acéẞeia, wenn die Mörder wagten, den beleidigten Gott durch ihren Besuch gewissermassen noch herauszufordern. Wir haben also hier so zu sagen den Abschluss und Gipfelpunkt des Frevels, der auch das Vorangegangene wieder in Erinnerung bringt.

ehe

Ziehen wir das Facit, so ergibt sich Folgendes. Möglich ist, dass die ἀσέβεια

1. in der Entweihung des Meeres durch Hineinwerfen des Leichnams, oder

2. in dem Besuchen des Poseidonsfestes seitens der Mörder besteht. Sachlich ist beides denkbar; doch empfiehlt der sprachliche Ausdruck der Stelle letzteres wol mehr.

Vergleichen wir nun die Angaben des Pausanias mit den andern schon berührten. Auf den ersten Blick scheint es nach der Form, in welcher er die verschiedenen Ansichten angibt οἱ πάντες ... oi μèv .... oi dé ... —, als machte er auf eine gewisse zusammenfassende Vollständigkeit Anspruch. Allein gleichwol umfasst er viele Züge nicht. Er sagt: alle nennen den Vater Ganyktor, die Söhne Ktimenos und Antiphos; allein beim Auctor und bei Tzetzes lauten dieselben Phegeus, Amphiphanes und Ganyktor. Dann erwähnt er den Frevel gegen Poseidon, während davon sonst nirgends direkt die Rede ist, bei Eratosthenes aber im Gegensatz dazu von den coì žévio gesprochen wird. Desgleichen kennt er nicht den vom Auctor und Tzetzes erwähnten Tod der Mörder auf offnem Meere von der Hand der Götter; er berichtet blos von der menschlichen Bestrafung. Alsdann führt er bei der Streitfrage über Hesiods

45) Wachsmuth II, 569. II, 215. not. 193b. Pollux I, 32.

Schuld oder Unschuld wol die direkt entgegenstehenden Ansichten über die Verführung an, nicht aber die von Plutarch angegebene ganz andersartige Schuld der strafbaren Mitwissenschaft; ferner auch nicht die Variante des Suidas, nach welcher die Mörder den Hesiod ohne Absicht getödtet. Pausanias kennt also offenbar die durch den Auctor und Tzetzes vertretene Gruppe nicht und stimmt auch mit den andern nicht überall. Keinenfalls aber gibt er ein Resumé der vorhandenen Sagen. Hat er es denn überhaupt geben wollen? Der Zusammenhang unserer Stelle mit dem Vorhergehenden wird es zeigen.

Pausanias hat Einiges über den heiligen Hain der Musen auf dem Helikon, über dortige Feste, über die Hippokrene berichtet. Dann führt er die auf Ueberlieferung Taрeiλnuuéva (-n Bergk) παρειλημμένα δόξῃ λέγουσιν beruhende Ansicht der umwohnenden Boioter an, dass Hesiod nur die Erga gedichtet und auch diese ohne das Prooemium an die Musen. Daneben aber gebe es auch noch eine andre, von der ersteren verschiedene Ansicht καὶ ἑτέρα κεχωρισμένη τῆς προτέρας sc. δόξης -, dass Hesiod eine grosse Anzahl Gedichte verfertigt habe; diese werden dann genauer aufgeführt. Darauf folgt unsere Stelle mit den Worten: ἐναντία δὲ καὶ ἐς τοῦ Ἡσιόδου τὴν τελευτήν ἐστιν εἰρημένα bis τὰ μὲν δὴ ἐς Ἡσίοδον καὶ αὐτὸν καὶ ἐς τὰ ἔπη διάφορα ἐπὶ τοσοῦτον εἴρηται. Nur eines Blickes bedarf es, um aus der vollständig gleichartigen und gleichstellenden Anführung der verschiedenen Sagen sowol über die Zahl der Werke als über den Tod Hesiods zu ersehen, dass Pausanias nur die unter den Anwohnern des Helikon, jener Hauptstätte Hesiodischen Dichtens und Hesiodischer Verehrung, cursirenden von Mund zu Mund verpflanzten (eipnuéva) Legenden, nicht aber alle Wandlungen der Sage auch in den verschiedenen literarischen Denkmälern hat überliefern oder zusammenfassen wollen. Irgend welche Vollständigkeit hierin ist also bei ihm, da nicht beabsichtigt, auch nicht zu verlangen. Dass er auch einschlägige schriftliche Aufzeichnungen der böotischen Periegeten, wie eines Amphion von Thespiae, benutzt hat, ist nicht unmöglich, jedenfalls aber hatte dieser eben auch nur die landschaftlichen Ueberlieferungen fixirt, und über diese hinauszugeben hatte auch Pausanias nach dem Plane seines Werkes keine Veranlassung. Gerade deshalb aber sind seine Angaben ein wertvoller, durchaus selbständiger und ursprünglicher Beitrag zur Vervollständigung des Sagengewebes. Wie es nun ganz natürlich ist, dass sich Legenden von berühmten Personen an die Orte anknüpfen, wo jene besonders gewirkt haben, so ist es ebenso erklärlich, dass sich diese Sagen im Laufe der Zeit in Einzeldingen wandeln, dass sich die Literatur ihrer bemächtigt, sie bearbeitet, sie ausschmückt, und dass diese Bearbeitungen mit ihren öfter individuellen Zusätzen hinwiederum Einfluss auf die Modificirung der ursprünglichen Lokalsage haben können. Ob und in wieweit dies auch hier der Fall gewesen,

ist natürlich nicht zu sagen; nur so viel mag man wol behaupten, dass in dieser Ueberlieferung relativ grobe und einfache Züge vorliegen, hinter denen sich die feineren Striche der literarischen Darstellung z. B. im Convivium und beim Suidas kaum verbergen können; ferner, dass wie schon bemerkt, eine Kenntnis der vom Auctor und Tzetzes gegebenen Variation besonders hinsichtlich der Namen und der Bestrafung der Mörder entschieden verneint werden muss. Freilich erlaubt dies noch keinen Schluss auf das jüngere Alter dieser letzterwähnten Versionen; für ihr gutes Alter zeugt der Name des Alkidamas. Doch von ihm später.

Nach alledem kann ich Bergk nicht beistimmen, wenn er p. 30 behauptet, Pausanias habe sich nach Eratosthenes gerichtet, um so weniger, als diese Ansicht der in der Anmerkung zu p. 21 über die Pausaniasstelle ausgesprochenen, von uns in der Hauptsache angenommenen widerspricht. Denn wenn Pausanias nur die Sagen der helikonischen Anwohner berichtet, so hat damit Eratosthenes nichts zu thun. Höchstens insofern, als er den Stoff und die specielle Gestaltung desselben der böotischen Sage entnahm, die später auch Pausanias noch in Umlauf fand. Dasselbe Verhältnis zwischen Eratosthenes und Pausanias nehmen mit Bergk übrigens auch Nietzsche und Flach (p. 465) an.

Auf eine Ansicht des letzteren (p. 462 ff.) möchte ich an dieser Stelle noch ganz kurz eingehen. Nachdem er Aulis am Euripus als die Stadt hingestellt, wo Hesiods Vater (opp. 635) von Kyme aus landete, und wo Hesiod selbst später wohnte, und ihr so eine gewisse Bedeutung beigelegt, lässt er auch die Sage vom Sängerkrieg des Homer und Hesiod in Chalkis dort entstehen und sogar den Mythus von Hesiods Ermordung von dem ozolischen Lokris, mit dem er in ältester Fassung verbunden war, nach dem Aulis benachbarten opuntischen übertragen werden, weil die Einwohner von Aulis nicht begreifen konnten, wie Hesiod nach dem ozolischen Lokris gekommen wäre. Wir haben somit eine opuntische und ozolische Sage; ersterer, nach welcher die Mörder Ganyktor und Amphiphanes hiessen und auf der Flucht nach Kreta auf offenem Meere umkamen, folgten Alkidamas, der Auctor, Tzetzes und die gemeinsame Quelle der letztgenannten; der ozolischen dagegen Thukydides, Eratosthenes und Plutarch, 'der aus ihm schöpft'. 'Wir erkennen sogar aus der Darstellung des Pausanias, dass ihm die opuntische Sage und mit ihr der Mörder Flucht zu Schiff ganz unbekannt geblieben ist, während er mit Molykria die Lokalität genauer (?) feststellt als Plutarch' (p. 465). Gab es nun wirklich eine solche aulidische Sage, so ist sie ganz unbekannt' dem Pausanias nicht geblieben. Denn er berichtet ja kurz vorher von dem Sängerkriege in Chalkis, der nach Flachs Ansicht eben einen Teil der zu Aulis entstandenen opuntischen Sage bildete. Danach wäre also zum mindesten Flachs Vermutung zu modificiren.

Nun glaube ich aber, dass die Annahme einer förmlichen aulidischen Sage selbst manchem Bedenken unterliegt. Das Heiligtum auf dem Helikon und die Umgegend dieses Berges war gewissermassen Centralstelle für den Kreis der hesiodischen Legendenpoesie. An diesem Punkte sammelten sich entferntere, auch abweichende Traditionen. Dass mit Aulis und Chalkis ebenfalls Verbindung bestanden hat, sehen wir aus dem auf dem Helikon befindlichen, geweihten Dreifusse, den Hesiod nach seinem Siege in Chalkis erhalten haben sollte. Ist es nun nicht unwahrscheinlich, dass wenn z. B. über den Tod der Mörder Hesiods in einer besonderen aulidischen Sage Abweichendes von der sonstigen Tradition berichtet wurde, gerade dies den Umwohnern des Helikon und somit auch dem Pausanias unbekannt geblieben sein soll? Um so mehr, da ja der Sagenkomplex, wie die Schuldfrage beweist, nicht einfach und einheitlich war und die Aufnahme dieser oder jener Abweichung daher recht gut denkbar ist? Ist aber jenes unwahrscheinlich, so ist es als Folge davon auch die Annahme einer besonderen ausgebildeten aulidischen Sage.

Fassen wir nun das bisher über diese Gruppe Gesagte noch einmal zusammen. Pausanias gehört im wesentlichen allerdings zu ihr, doch hat er keinen der andern Gewährsmänner oder ihre Quellen benutzt, sondern gerade wie jene als Dichter und Erzähler, so als Antiquar aus der ihnen im letzten Grunde gemeinsamen Quelle der Lokaltradition geschöpft. Bei den übrigen ist eine Uebereinstimmung unverkennbar, obwol diese sich nicht auf alle Punkte erstreckt, wie die Erklärer wahrscheinlich zu machen suchen, sondern fast alle Sagen die sonst entgegengesetzten, wie die des Auctor und Tzetzes nicht ausgenommen kreuzen sich mehrfach, während sie anderwärts mehr oder weniger abweichen. Diese Abweichungen finden statt zwischen Eratosthenes und Plutarch in Bezug auf den Namen des Begleiters und die Art der Bestrafung, bei Pollux, welcher mehrere Hunde erwähnt, und bei Suidas, welcher sowol Hesiod als die Mörder von aller Schuld freispricht dadurch, dass er die Ermordung des ersteren als eine an einem Unschuldigen, zugleich aber auch unfreiwillig an ihm verübte darstellt. Sonst muss oder kann wenigstens Uebereinstimmung in den einzelnen Zügen angenommen werden.

Wenn wir nun von der gemeinsamen Grundlage der Lokaltradition absehen, so ist es nicht gut möglich, alle Nachrichten auf eine einzige Quelle zurückzuführen, was ja auch den Erklärern rücksichtlich des Suidas nicht gelungen ist. Als die ältesten Bearbeiter der Sage obwol sie das in Wahrheit jedenfalls nicht gewesen sind treten uns Eratosthenes und wenn wir wollen auch Euphorion entgegen. Wir können aber daraus wol den Schluss ziehen, dass jene Sage vom tragischen Ende des Hesiod eben wegen ihres poetischen Gehalts und ihres dramatischen Lebens von den alexan

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