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LIEBER DAHLMANN. als ich vor zwölf jahren Ihre schöne abhandlung über Saxo las freute mich, dafs wer das recht der geschichte gegen die sage geltend zu machen wuste nirgends die eigenthümlichkeit dieser auzuerkennen unbereit war. Solch ein standpunct gebührte Ihnen; und wie von ihm aus Sie den eindrang der sage in die geschichte darlegten, wäre es meine lust gewesen die einwirkung der geschichte auf die sage gerade an demselben beispiel zu entwickeln: was hernach Müller in gewissem sinn, doch nicht ganz wie ich es meine, gethan hat. Welchen beider wege man einschlage, danach wird sich anderes licht ergeben und anderer schattenwurf. Sage und geschichte sind jedwedes eine eigne macht, deren gebiete auf der grenze in einander sich verlaufen, aber auch ihren gesonderten, unberührten grund haben. aller sage grund ist nun mythus, d. h. götterglaube, wie er von volk zu volk in unendlicher abstufung wurzelt: ein viel allgemeineres, unstäteres element als das historische, aber au umfang gewinnend was ihm an festigkeit abgeht. Ohne solche mythische unterlage lässt sich die sage nicht fassen, so wenig als ohne geschehne dinge die geschichte. Während die geschichte durch thaten der menschen hervorgebracht wird, schwebt über ihnen die sage als ein schein der dazwischen glänzt, als ein duft, der sich an sie setzt. mals wiederholt sich die geschichte, sondern ist überall neu und frisch, unaufhörlich wiedergeboren wird die sage. Festes schrittes am irdischen boden wandelt die geschichte, die geflügelte sage erhebt sich und senkt sich ihr weilendes niederlassen ist eine gunst, die sie nicht allen völkern erweist. Wo ferne ereignisse verloren gegangen wären im dunkel der zeit, da bindet sich die sage mit ihnen und weils einen theil davon zu hegen; wo der mythus geschwächt ist und zerrinnen will, da wird ihm die geschichte zur stütze. Wenn aber mythus und geschichte inniger zusammen treffen, und sich vermählen, dann schlägt das epos ein gerüste auf und webt seine faden. Treffend gesagt

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haben Sie so sehr unterliegt die geschichte, welche kein fleifs der gleichzeitigen aufzeichnet, der gefahr im gedächtnisse der menschen ganz zu verschwinden, oder falls die sage sich ihrer bemächtigt zwar erhalten, aber zugleich in dem grade verwandelt zu werden, wie die härteste frucht

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in die weichste, die herbeste in die süfseste durch kunst der zubereitung fast willkürlich übergeht. Die verwandlung, den übergang räume ich ein, nicht die zubereitung. denn zubereitet nennen dürfen wir nicht was durch eine stillthätige, unbewust wirksame kraft umgesetzt und verändert wurde. Es gibt doch nur wenig ersonnene sagen, keine, deren trug vor dem auge der critik nicht zuletzt schwände, wie die verfälschte geschichte weichen mufs einer weit gröfseren macht der wahren; was aus städtenamen müfsige mönche des mittelalters etymologisiert, jenes niederländische machwerk des Hunibald, eines Annius von Viterbo Berosus, bringen weder der sage gefahr, noch der geschichte. Die geschichte hat es aber nicht vor der sage voraus, dafs man vergleichen kann; jede wird nur für ihre vergleichungen des rechten mafsstabes eingedenk sein.

Aus vergleichung der alten und unverschmähten jüngeren quellen habe ich in andern büchern darzuthun gestrebt, dafs unsere voreltern, bis in das heidenthum hinauf, keine wilde, rauhe, regellose, sondern eine feine, geschmeidige, wolgefüge sprache redeten, die sich schon in frühster zeit zur poesie hergegeben hatte; dafs sie nicht in verworrener, ungebändigter horde lebten, vielmehr eines althergebrachten sinnvollen rechts in freiem bunde, kräftig blühender sitte pflagen. Mit denselben und keinen andern mitteln wollte ich jetzt auch zeigen, dafs ihre herzen des glaubens an gott und götter voll waren, dafs heitere und grofsartige, wenn gleich unvollkommne vorstellungen von höheren wesen, siegesfreude und todesverachtung ihr leben beseeligten und aufrichteten, dafs ihrer natur und anlage fern stand jenes dumpfbrütende niederfallen vor götzen oder klötzen, das man, in ungereimtem ausdruck, fetischismus genannt hat. Diese beweisführung fühlt durch meine vorhergegangenen arbeiten sich erleichtert und gestärkt; das dritte folgt hier innerlich nothwendig aus dem ersten und zweiten: ein volk, zur zeit wo seine sprache, sein recht gesund da stehen und unversiegten zusammenhang mit einem höheren alterthum ankündigen, kann nicht ohne religion gewesen sein, und wir werden zum voraus ihr dieselben tugenden und mängel beilegen dürfen, welche jene auszeichnen. Unserer mythologie gebricht es indessen auch nicht an eigenthümlichen, ihrerseits auf sprache und recht zurückweisenden bestätigungen, an welchen sowol dem historiker gelegen sein mufs, wenn er die öden, verlafsnen anfänge deutscher geschichte beleben will, als dem theologen, um der einwirkung des christenthums auf das

heidenthum, wie der spuren dieses in jenem sicher zu werden. Es macht aber überhaupt freude das leere haus - wieder voller zu stellen.

Nur in einem punct war der gegenwärtigen untersuchung ein abweichender gang vorgeschrieben. niemand zweifelt, dafs die nordische sprache mit in den kreis der übrigen deutschen dialecte gezogen werden müsse, noch ist befremdet über die grofse einstimmung aller untereinander. eben so geringen anstofs haben die rechtsforscher an dem auffallenden, bis in formeln und worte reichenden einklang altnordischer und altdeutscher gebräuche genommen. Für den heidnischen glauben hat man eine andere meinung gefafst, weil seine quelle in Scandinavien reichlich, in Deutschland sparsam fliefst: diese sehr begreifliche verschiedenheit ist zu der doppelten folgerung gemisbraucht worden, um den ursprung der nordischen mythologie stehe es verdächtig, und das übrige Deutschland sei götterlos gewesen. aus dem mangel des armen bruders schlofs man nicht etwa, dafs er sein gut verthan, sondern dafs der reiche bruder sein vermögen unrecht erworben habe, aus der wolhäbigkeit des begüterten entnahm man, dafs der dürftige gar nicht reich gewesen sein könne. Niemals hat eine falsche critik ärger gefrevelt, indem sie wichtigen, unabwendbaren zeugnissen trotzte, und die naturgemässe entwicklung naliverwandter volksstämme leugnete. Um sie aber auszurotten habe ich wol eingesehn, dafs ich nicht von einer darstellung der nordischen fülle, vielmehr der deutschen armut ausgehend, ähren lesen muste, keine garben schneiden durfte. erst aus solchen ähren und ihren körnern habe ich nahrung zu gewinnen und schlüsse zu ziehen gewagt; es ist dadurch aller besonderheit, wie ich hoffe, das recht gewahrt worden. Denn eigenthümliches und abweichendes tritt hier nicht anders wie in der sprache ein und seiner habhaft zu werden hat den höchsten reiz. Gröfser aber als die abweichung ist die übereinkunft, und das früher bekehrte, früher gelehrte Deutschland kann die unschätzbaren aufschlüsse über den zusammenhang seiner mythentrümmer dadurch dem reicheren Norden vergelten, dass es ihm ältere historische zeugen für die jüngere niederschreibung an hand liefert. Wie Deutschland keine runen auf steinen übrig hat, doch in büchern, die älter sind als die ältesten nordischen runsteine, so wird durch den Wuotan des Jonas, Paulus, der liptin. synode der eddische Odhinn neu gesichert, Zweierlei festzuhalten, daran ist es hier gelegen; dafs die pordisele

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