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So dürfen wir uns also nicht wundern, wenn auch unsere Annalisten in ähnlicher Weise verfuhren,
d. b. wenn auch sie solche Parthien, die sich schon bei ihren Vorgängern vorfanden, ohne Bedenken aus
denselben entlehnten und nur etwa hier und da im Ausdruck eine Verbesserung anzubringen suchten.
diess aber der Fall war, dafür lassen sich hauptsächlich folgende Beweise anführen.

Zuvörderst fehlt es wenigstens nicht ganz an bestimmten Belegen hierfür, obgleich, wie wir be-
reits bemerkt haben, die Zahl der erhaltenen Bruchstücke überhaupt gering ist. Der interessanteste dieser
Belege findet sich bei Gellius (X, 24) und bei Macrobius (Saturn. I, 4). Dort wird die Erzählung, wie Han-
nibal nach der Schlacht bei Cannae vergeblich zu einem raschen Zuge nach Rom aufgefordert worden, aus
Cato und aus Coelius Antipater ungefähr mit denselben Worten angeführt und an beiden Stellen bemerkt:
Coelius et historiam et verbum ex Originibus M. Catonis accepit. Ein anderer Fall, wo sich die Darstel-
lung einer und derselben Begebenheit bei zwei Annalisten vergleichen lässt, liegt Gell. I, 7 und III, 9 vor.
Hier ist zwar die Uebereinstimmung nicht so wörtlich, allein es ergiebt sich wenigstens so viel, dass der
spätere Annalist (Claudius Quadrigarius) dem früheren auszugsweise ziemlich genau gefolgt ist.

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Sodann würde Livius wohl kaum im Stande gewesen sein, bei seiner Arbeit mehreren oder allen
Annalisten zu folgen, wenn dieselben nicht im Wesentlichen und namentlich in dem Gange der Darstellung
übereingestimmt hätten. Eben diess aber hat er gethan, wie er wiederholt selbst erklärt.*) Und auch bei
andern Schriftstellern wird nicht selten eine und dieselbe Darstellung einer Thatsache angeführt und dann
mehreren Annalisten zugleich zugeschrieben, was wiederum nicht wohl denkbar wäre, wenn zwischen den
als Gewährsmännern genannten Annalisten nicht auch in der Form eine grössere Uebereinstimmung in diesen
Fällen stattgefunden hätte.**)

Zwar wird bei Livius und sonst öfters auch abweichender Angaben einzelner Annalisten gedacht.
Indess sind dieser Abweichungen im Ganzen so wenige, dass sie eben desshalb eher für die Uebereinstimmung
der Annalisten als für ihre Verschiedenheit beweisen, da Livius ihrer kaum würde Erwähnung gethan haben,
wenn sie nicht eine Ausnahme von der Regel gebildet hätten.

Ein weiterer Beweis dürfte noch in folgendem Umstande zu erkennen sein. Gellius führt (XVII,
2, 2-9) vier kürzere Stellen aus Q. Claudius an; eben diese Stellen werden aber von Nonius mit ganz ge-
ringen Abweichungen an vier verschiedenen Orten (unter den Wörtern copiantur, subnixum, frunisci, illa-
tebrare) ausdrücklich dem Cölius zugeschrieben. Nun hat man zwar gemeint, an allen vier Orten den Namen
Cölius bei Nonius mit Claudius vertauschen zu müssen. Indessen ist es gewiss weit weniger wahrscheinlich,
dass Nonius sich viermal eines und desselben Versehens schuldig gemacht haben sollte, als dass Cölius diese
Stellen aus Claudius oder Beide aus einem Dritten entnommen und dass sonach auch sie als Beispiele und
Beweise der Uebereinstimmung verschiedener Annalisten anzusehen seien.

Endlich aber und hauptsächlich wird auch noch der nachfolgende zweite Hauptsatz unserer Beweis-
führung dazu dienen, die obige Behauptung zu unterstützen.

Eben so nämlich, wie die älteren Annalisten von den jüngeren, so sind die sämmtlichen Annalisten
wieder von Livius und Dionysius benutzt worden und zwar so, dass Ersterer in der Regel die Darstellung der
Annalisten nur hier und da periodischer gestaltet und ausgeschmückt, Letzterer aber hauptsächlich den ihm
und den griechischen Schriftstellern unerlässlich scheinenden (meist sehr widerwärtigen) Pragmatismus hinzu-
gefügt hat, während im Uebrigen bei Beiden sich nicht nur der Inhalt und der Gang der Darstellung, sondern
auch der Wortlaut (bei Dionysius natürlich in griechischer Uebersetzung) erhalten findet.

Der Hauptbeweis hierfür ist in der merkwürdigen, bisher aber, so viel uns bekannt, noch nicht be-
obachteten Erscheinung enthalten, dass sich zwischen Livius und Dionysius an unzähligen Stellen eine so völ-
lige Uebereinstimmung findet, dass nothwendig entweder der eine den andern oder Beide dieselben Quellen

*) S. IV, 20. VII, 21. XXII, 31. XXXII, 6. Vgl. Lachmann a. a. O. S. 25.

**) S. Cic. de Div. I, 26. Dionys. I, 11. 13. 79. IV, 7. Serv. zu Virg. Aen. XI, 316.

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ausgeschrieben haben müssen. Das Erstere ist nicht möglich, da, wie z. B. Lachmann *) dargethan hat, die Werke Beider ganz unabhängig von einander entstanden sind. Es bleibt also nur die andere Alternative übrig, dass Beide ihre Darstellung vielfach ganz wörtlich aus den älteren Annalisten entlehnt haben.

Jenes Verhältniss der beiden Historiker lässt sich, abgesehen von dem ersten Buche des Dionysius, wo dieser Gesichtspunkte verfolgt, welche Livius ganz unbeachtet gelassen hat, sonst überall nachweisen, so weit Beide überhaupt neben einander hergehen. Wir dürfen uns indess wegen Beschränktheit des Raumes nicht gestatten, diess durch Anführung sämmtlicher correspondirenden Stellen oder auch nur eines grösseren Theiles derselben zu beweisen und müssen uns daher begnügen, irgend eine kleine Parthie herauszugreifen, und aus dieser diejenigen Stellen zu vergleichen, in welchen die Uebereinstimmung am deutlichsten hervortritt. Wir wählen dazu die Darstellung der Schlacht am See Regillus und der unmittelbar darauf folgenden Begebenheiten.

In dieser Parthie also finden sich folgende übereinstimmende Stellen:

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Wir fügen hierzu noch einige kurze Stellen aus der Erzählung vom Coriolan:

VII, 1: σίτου σπάνις ἰσχυρὰ τὴν Ῥώμην και

τέσχεν ἐκ τῆς ἀποστασίας λαβοῦσα τὴν ἀρχὴν.

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c. 34: aliud multo gravius malum civitatem invasit, caritas primum annonae ex incultis per secessionem plebis agris.

Ebend. periculum quoque ab impetu hominum ipsis frumentatoribus fuit.

Ebend.: naves pro bonis Tarquiniorum ab Aristodamo tyranno retentae sunt.

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Wir müssen noch bemerken, dass auch ausser den in Vorstehendem ausgezogenen Stellen sich eine vielfache Uebereinstimmung zwischen Livius und Dionysius in den Sachen findet, so dass in der That ziemlich Alles, was wir bei Livius lesen, auch im Dionysius wiederkehrt und wiederum letzterer, wenn wir von den offenbar erfundenen Ausschmückungen, von den überall, wo es anging, eingeschobenen Reden und von seinen pragmatischen Kunststücken absehen, kaum etwas Eigenthümliches von Werth bieten dürfte. finden sich in Betreff der Schlacht am See Regillus noch folgende einzelne Züge auch bei Dionysius wieder: der Tod des M. Valerius, der Angriff der römischen Verbannten unter S. Tarquinius und die gewaltige Wirkung, die derselbe hervorbringt, die letzte Entscheidung der Schlacht durch die Reiterei, der Zweikampf zwischen Postumius und Tarquinius (wobei indess Dionysius statt des Vaters, der ihm hierfür zu alt scheint,

charakteristisch genug einen Sohn, den T. Tarquinius, substituirt): womit, zusammen mit den oben bereits angeführten Zügen das Wesentliche der Darstellung des Livius so ziemlich erschöpft sein dürfte. Um aber auch ein Beispiel zu geben, von welcher Art dasjenige ist, was Dionysius vor dem Livius anscheinend voraus hat: so möge hier noch eine kurze Uebersicht über die Vorgänge vor und nach der Schlacht am See Regillus Platz finden, wie sie bei Dionysius dargestellt sind. Um es zu erklären, dass die Latiner gegen ihr Interesse die Schlacht sofort annehmen, müssen die Römer erst zu beiden Seiten des latinischen Lagers Anhöhen besetzen und dann auch noch einen Hügel im Rücken desselben einnehmen, so dass die Latiner völlig eingeschlossen und namentlich von ihrer Heimath ganz abgeschnitten sind. Hierdurch werden 3 Capitel gefüllt (VI, 3—5). Dann wird etwas sehr weit ausgeführt, was sich bei Livius nur angedeutet findet, dass nämlich die Volsker im Begriff sind den Latinern zu Hülfe zu ziehen, um dadurch den sofortigen Angriff der Römer zu motiviren. Ehe es aber zur Schlacht kommt, muss erst Postumius eine lange Rede halten (c. 6 9). Nach der Schlacht wird zuvörderst eine sich darbietende Gelegenheit benutzt, um eine Beschreibung des Aufzugs der Ritter nach den Iden des Quintilis einzuschalten. Dann aber giebt wieder die wirkliche Ankunft der Volsker in der Nähe des Schlachtfeldes Anlass zu längeren Expositionen. Nun berathen nämlich die Volsker, wie sie sich zu benehmen haben; es werden allerhand Vorschläge gethan und in Erwägung gezogen, bis man sich endlich entschliesst, den Schein anzunehmen, als ob man den Römern habe Hülfe bringen wollen: eine Erdichtung, die namentlich dann überaus thōricht erscheint, wenn man sich der schnöden Antwort erinnert, die kurz zuvor (V, 62) Dionysius selbst die Volsker auf eine Aufforderung der Römer zur Bundesgenossenschaft hat geben lassen. Das Letztere füllt wieder mehrere Capitel (c. 13 - 17), und man wird sich demnach nicht wundern, wenn hier und eben so auch anderwärts die Darstellung des Dionysius sich sehr ausdehnt und anscheinend die Parallelstellen zwischen ihm und Livius einen geringen Theil des Ganzen bilden.

Wie aber in der oben herausgegriffenen Parthie, so stellt sich (mit der schon früher bezeichneten Ausnahme) das Verhältniss zwischen beiden Historikern überall heraus, und es lässt sich demnach im Allgemeinen sagen, dass bei Beiden ein und derselbe Kern zu Grunde liege, der nach Obigem nicht wohl aus einer andern Quelle, als aus den älteren Annalisten entnommen sein kann.*)

Für Livius allein lässt sich diesem indirecten Beweise noch ein directer aus den, wenn auch nicht eben sehr zahlreichen Parallelstellen zwischen ihm und den erhaltenen Bruchstücken der älteren Annalisten anschliessen. Wir lassen hier diese Parallelstellen folgen, auch diejenigen mit eingeschlossen, wo die Worte der Annalisten nur im Auszuge mitgetheilt werden, und wollen in Betreff dieser letzteren, die wir mit einem Kreuze bezeichnet haben, nur noch im Voraus bemerken, dass bei ihnen die Uebereinstimmung der Natur der Sache nach nicht so gross wie sonst sein kann, dass sie aber dafür, so weit sie sich findet, um so auffallender und um so beweisender ist.

Annalisten:

Piso (Plin. H. N. XXVIII, 2):

L. Piso primo annalium auctor est, Tullum Hostilium regem ex Numae libris codem quo illum sacrificio Jovem coelo devocare conatum, quoniam parum rite quaedam fuisset, fulmine ictum.

Livius:

I, 31: Ipsum regem tradunt volventem commentarios Numae quum ibi quaedam occulta sollemnia sacrificia Jovi Elicio facta invenisset, operatum his sacris se abdidisse, sed non rite initum aut curatum id sacrum esse, nec solum nullam ei

*) Der Verfasser hat es in der Vorrede zu seiner Schrift: Die Epochen der Verfassungsgeschichte der römischen Republik, S. XXIII., als eine unabweisbare Forderung für eine besondere Untersuchung über Dionysius, die selbst wieder für eine kritische Bearbeitung der römischen Lieschichte ein unerlässliches Erforderniss ist, bezeichnet, dass aus den Erfindungen und willkührlichen Ausführungen bei ihm der eigentliche historische Kern herausgeschält werde. Eben dort haben wir auch die Vorurtheile und Tendenzen im Allgemeinen nachzuweisen gesucht, aus denen diese Erfindungen und Ausführungen geflossen sind. An dieser Stelle wollen wir nur noch mit einem Worte andeuten, dass für eine solche Untersuchung über Dionysius in einer Vergleichung zwischen ihm und Livius, wie wir sie in Vorstehendem zur Probe an einer kleinen Parthie durchgeführt haben, der beste Anhalt geboten sein möchte, indem sich im Allgemeinen gewiss mit Recht sagen lässt, dass in eben dem, was Beide mit einander gemein haben, sich jener Kern des Dionysius erkennen lasse, freilich immer wieder mit Ausnahme des ersten Buches des Dionysius, wo wir dieser Hülfe entbehren, da sich Livius in die Vorgeschichte Roms, welche jenes Buch füllt, nicht tiefer eingelassen hat.

oblatam coelestium speciem, sed ira Jovis sollicitati prava religione fulmine ictum cum domo conflagrasse.

Cincius (Gell. XVI, 4, 1).

Piso (Gell. XV, 29):

(Verba Pisonis haec sunt:) L. Tarquinium collegam suum, quia Tarquinium nomen esset, mituere, eumque orat uti sua voluntate Romam (Roma?) contendat.

+ Coelius (Cic. de Div. I, 26):

(Omnes hoc historici, Fabii, Gellii, sed proxime Coelius:) Cum bello Latino ludi votivi maximi primum fierent, civitas ad arma repente est excitata. Itaque ludis intermissis instaurativi constituti sunt. Qui antequam fierent, cumque jam populus consedisset, servus per circum quum virgis caederetur, furcam ferens ductus est. Exin cuidam rustico Romano dormienti visus est venire, qui diceret praesulem sibi non placuisse ludis idque ab eodem jussum esse senatui nuntiare, illum non ausum. Iterum esse idem jussum et monitum, ne vim suam experiri vellet; ne tum quidem esse ausum. Exin filium ejus esse mortuum; eandem in somnis admonitionem fuisse tertiam. illum etiam debilem factum rem ad amicos detulisse, quorum de sententia lecticula in curiam esse delatum, quumque senatui somnium enarravisset, pedibus suis salvum revertisse."

Tum

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I, 32.*)

II, 2:

Regium genus, regium nomen non solum in civitate, sed etiam in imperio esse, id officere, id obstare libertati: hunc tu, inquit, tua voluntate, L. Tarquini, remove metum.

II, 36:

Ludi forte ex instauratione magni parabantur. Instaurandi haec causa fuerat. Ludis mane servum quidam pater familiae nondum commisso spectaculo sub furca caesum medio egerat circo. Coepti inde ludi, velut ea res nihil ad spectaculum pertinuisset. Haud ita multo post T. Atinio de plebe homini somnium fuit. Visus Jupiter dicere sibi ludis praesultatorem displicuisse, nisi magnifice instaurarentur ii ludi, periculum urbi fore, iret, ea consulibus nuntiaret. Cunctantem tamen ac prolatantem ingens vis morbi adorta est debilitate subita: tunc enimvero deorum ira admonuit. Fessus igitur malis praeteritis instantibusque consilio propinquo – rum adhibito quum exposuisset, consensu inde haud dubio omnium, qui aderant, in forum ad consules lectica defertur, inde in curiam jussu consulum delatus eadem illa quum patribus ingenti omnium admiratione enarrasset, ecce aliud miraculum: qui captus omnibus membris delatus in curiam esset, eum functum officio pedibus suis domum redisse traditum memoriae est. V, 46:

(Cominius) eadem degressus nuntius Vejos

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*) An diesen beiden Parallelstellen steht die Formel, mit welcher der Fetial den Krieg ankündigte, fast mit denselben Worten, bei Livius noch etwas alterthümlicher gehalten. Weil diess eine Formel ist, deren wörtliche Beibehaltung Livius aus besonderen Gründen für nöthig halten mochte, so dürfte sie für unsern Zweck weniger brauchbar sein; daher ich sie auch nicht mittheile. **) Diese Stelle (sie enthält die Erzählung vom Zweikampf des T. Manlius mit dem Gallischen Riesen) ist zu lang, als dass ich sie ganz mittheilen könnte. Ich hebe daher nur die bezeichnendsten Stellen heraus und bemerke nur noch, dass die Erzählung im Ganzen bei Livius wie bei Claudius denselben Gang nimmt.

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