Page images
PDF
EPUB

Wenn wir so einerseits ,,die organische Entwicklung" der mythologischen Gestalten aus den rohesten, oft grobsinnlichsten Formen der „niederen" Mythologie durch alle Phasen hindurch, durch Aberglauben, Märchen, (Heroen-) Sage und Mythe bis zu dem Standpunkte verfolgen können, wo sie im olympischen Glanze und Hoheit einer homerischen Götterwelt strahlen, wo des Zeus bejahendes Neigen genügt, den Olymp zu erschüttern, eine Stelle, die bekanntlich den Phidias zu seiner grossartigen Schöpfung begeistert haben soll, so zeigt sich anderseits ein für die Culturgeschichte merkwürdiges Phänomen. Erstens lebt jener uralte Glaube nicht bloss in den Sagenmassen, in denen er sich abgelagert und aus denen wir ihn entwickeln, sondern auch direct noch als Glaubenssatz hier und da nach so vielen Jahrtausenden, nur in gleichsam zusammengedrückter Gestalt, in ganz vereinzelter Beziehung selbst bei den europäischen Völkern noch in diesem Augenblick fort, die uralte Vorstellung der Gewitterschlange z. B., die wir im Folgenden in ihrer vollen Ausdehnung entwickeln, noch in dem Glauben, dass bei einer kleineren, feurigen Lufterscheinung ,,der Drache zieht", oder „ein Komet (ein Drachenstern) der Welt den Untergang bringen könne"; die ebenso alte Vorstellung einer wilden Jagd im Gewittersturm noch in dem Glauben an einen wilden Jäger, „der im Sturm dahin jagt", die Vorstellung eines ,,Milchmeeres" im Himmel, welche die „,weissen" Wolken weckten, wenigstens noch im Namen der,,Milchstrasse", die Vorstellung eines ,,himmlischen Wolkenbaums" noch im sogen. „Wetterbaum“ u. dergl. An einem Punkt in der Natur ist so oft der Glaube, der einst weitere Dimensionen hatte, die er aber aufgegeben, noch haften geblieben, gleichsam als Wahrzeichen einer vergangenen Zeit 1). Dann aber lebt die Anschauung, ohne vom Glauben getragen zu werden, als blosses,,Bild der Phantasie" noch heute in der Sprache fort und wird hier immer ihre Stelle behaupten, so lange Menschen menschlich empfinden, noch immer,,heult" der Sturm, „jagen" die Wolken, „schlängelt" sich der Blitz, „blüht“ das Gewitter auf,,,giesst" es vom Himmel herab. In der Sprache herrscht noch immer und erneut sich stets die sinnliche Anschauung, die vor Jahrtausenden mit dem gläubigen Sinn vermählt die Mythologien schuf, und gerade durch sie wird es am klarsten, wie Sprachenschöpfung und mythologische Entwicklung, der Ausdruck des Denkens und Glaubens, einst Hand in Hand gegangen. Beide Beobachtungen sind, glaube

[ocr errors]

1) Ebenso weist der in Asien noch herrschende Glaube von einem Drachen, der in den Sonnen- oder Mondfinsternissen diesen Gestirnen nachstelle, auf den allgemeineren Glauben von einem im Gewitter denselben nachstellenden Schlangen ungeheuer hin, und einen ähnlichen allgemeineren Hintergrund werden wir auch bei den Vorstellungen vom Geldbrennen, dem Blühen der Schätze, dem Blutregen und anderem mehr hervortreten sehen; überall bricht dieses in beschränkteren Kreisen Fortvegetiren der uralten, allgemeineren Glaubenssätze hervor.

ich, eine nicht unbedeutende Stütze unserer ganzen Ansicht von dem Ursprung der Mythologien.

Die Sagenmassen aber nun, in denen sich der alte Volksglaube ablagerte, zeigen uns mit Ausnahme der Producte der letzten heidnischen Zeit, der eigentlichen Göttermythen, in Betreff der Einkleidung und Scenerie die alten mythischen Elemente nicht mehr in dem ursprünglichen Naturkreis des Himmels, der Natur, in der sie entstanden, sondern in stets sich erneuernder Uebertragung auf irdische Verhältnisse. Wenn der Glaube, der bestimmte Anschauungen hervorgerufen hatte, geschwunden, resp. durch einen andern ersetzt war, so heftete sich das, was in der Tradition übrig geblieben, an irdische Verhältnisse, es wurde in irgend einer Weise zur irdischen Geschichte, wenn es nicht als Märchen, wenigstens äusserlich, eine luftigere Existenz fortführte. In dreifacher Weise meist sehen wir diesen Prozess sich entwickeln. Entweder knüpfte sich der alte Mythos an bestimmte, in der Tradition fortlebende Personen, um so fester, je fester diese den Stammsagen einzelner Stämme verwuchsen, an einen Herakles, Achilles u. s. w., oder an ganze Völker, wie an Amazonen, Telchinen u. dergl. Oder irdische, der himmlischen Scenerie in irgend einer Weise analoge Locale substituirten sich jener. So sehen wir, dass überall, wo die Drachensagen festen Fuss gefasst, ein bei einer Bergeshöhle hervorkommendes Wasser in Analogie zu dem aus den Wolkenbergen hervorstürzenden, von Drachen gehüteten Regenstrom die Veranlassung dazu gewesen, dass die Sage gerade dort sich localisirt hat. Endlich aber zeigt uns das reiche Gebiet des Aberglaubens und der Gebräuche eine dritte Art der Uebertragung. Was ursprünglich von den Dingen jener Wunderwelt, an die man glaubte, gegolten hatte, übertrug der Aberglaube auf die analogen irdischen Gegenstände und Wesen. Dies letztere tritt z. B. überall in der Schlangenverehrung und dem an irdische Schlangen sich knüpfenden Aberglauben, wie wir ihn im Folgenden darstellen, hervor. Die Sage von den segenbringenden Hausschlangen des himmlischen Haushalts, von dem glückbringenden Atternkrönlein, das dem Schlangenkönig mit seinem Heer abgewonnen werden kann, knüpfte sich an die irdischen Schlangen, und hielt sich hier, wie tausend andere Dinge des Aberglaubens, nie bewiesen und doch stets geglaubt. Boten aber hierzu die heimischen Verhältnisse gar keinen Anhalt mehr, keinen Schlupfwinkel gleichsam, wohin sich der alte Glaube flüchten, keine Form, unter der er fortbestehen konnte, dann verpflanzte man ihn in andere Länder. Dort lebten noch Kyklopen, Amazonen und Pygmaeen, dort gab es noch Basilisken u. dergl. mehr. Die Gebräuche aber endlich in ihrer Nachahmung analoger himmlischer Verhältnisse, an die man geglaubt, schlangen mit dem Aberglauben Hand in Hand um das menschliche Leben ein eigenthümliches Band, gaben ihm dadurch gleichsam die Weihe des entsprechenden himmlischen Lebens, oder er

zeugten in den Culten der werdenden Götter jene Symbolik, welche dann eine spätere Zeit tiefsinnig zu entwickeln bemüht war. Weil man, wie ich schon oben angedeutet, an eine Vermählung und Vermischung der himmlischen Wesen im Gewitter glaubte, der. iɛpòs yάuos der Griechen, spielten nicht bloss im Alterthum,,Verfolgung" und „Raub“, „,Wasser und Feuer", alle die Elemente, welche der Glaube im Gewitter thätig fand, bei den Hochzeitsgebräuchen eine Hauptrolle, sondern wenn unter ,,Fackelbeleuchtung" in Rom die Braut dem Bräutigam „,verschleiert" zugeführt wurde, trug sie vor Allem,,des guten Omens halber", wie Festus sagt, das flammeum, den,,feuerfarbenen" Schleier, gleichsam in Nachahmung des ,,rothen Wolkengewandes", was die himmlische Gewitterbraut schmückte 1). Die deutschen Hochzeitsgebräuche zeigen die analogen Elemente, und die der Hochzeit vorangehende Mummerei und die Polterei des sog. Polterabends erinnern noch in speciellerer Beziehung an die analogen himmlischen Vorgänge bei der Gewitterhochzeit, an der Wolken Mummerei und der Donner Polterei. Aehnlich ist es mit den Gebräuchen in den Culten. Weil der ägyptische Horos die Schlange getödtet, welche die im Kampfe mit dem Typhon zu ihm eilende Thueris verfolgte, wurde noch immer bei den Weihen, sagt Plutarch, „ein Strick" als sinnbildliche Bezeichnung der Schlange hingeworfen und zerhauen 2). Weil der Mythos die alten Götterwesen zeitweise verschwindend oder sich verbergend wähnte, suchte man nach wie vor sie im Cultus und fand sie. Im Frühling stellte man zu Delphi des Apollo Drachenkampf dar, gerade wie unsere Vorfahren zur Zeit der Wintersonnenwende, wo sie die Götter des neuen Jahres sich einziehend dachten, „den Schimmelreiter", d. h. den Wôdan, auftreten liessen 3).

Alle diese verschiedenen Elemente der Sage, des Aberglaubens und der Gebräuche waren aber, nachdem sie irdisch localisirt, wieder für sich der Entwicklung fähig. Und so darf es den Mytho

[ocr errors]

1) Der Hinweis auf die Ehe des Flamen und der Flaminica als das Vorbild aller Ehen (cf. Serv. z. Virgil. Aen. IV. 104) bestätigt noch meine Ansicht, denn beide zeigen noch deutlich in ihrem Namen auf Wind und Windsbraut hin. Der Name des Flamen (Dialis) ward nur anderseits auch zur Bezeichnung des ,,Priesters", weil die Winde im himmlischen Haushalt nicht bloss als Boten wie Hermes sondern auch als die himmlischen Priester oder Opferer erschienen, wenn dem Glauben nach im Gewitter ein Opfer vollzogen ward. So steht dem Hermes, der des Apollo Rinder entführt und schlachtet, Prometheus gegenüber, wenn er beim Opfer des (Himmels-) Stiers die Götter überlistet, weshalb dann Zeus das Feuer yorenthält, dass es Prometheus nun rauben muss. So sind bei den Indern die beim Feuerraub betheiligten mythischen Wesen, die Bhrgu's, Angirasen u. s. w., alle zu Stamm vätern der alten Priestergeschlechter geworden. vergl. Kuhn, „über die Herabholung des Feuers bei den Indogermanen". p. 3 f.

2) Plut. de Iside cet. c. 19: λέγεται δὲ ὅτι πολλῶν μετατιθεμένων ἀεὶ πρὸς Ὧρον καὶ ἡ παλλακὴ τοῦ Τυφῶνος ἀφίκετο Θούηρις· ὄφις δέ τις ἐπιδιώκων αὐτὴν ὑπὸ τῶν περὶ τὸν Ὧρον κατεκόπη· καὶ νῦν διὰ τοῦτο σχοινίον τι προβαλόντες εἰς μέσον κατακόπτουσι.

3) vergl. Nordd. S. G. 125. das. Anm.

logen nicht befremden, wenn er, auf dem Gebiet der Sagen namentlich, alte Sagen unter neuem Gewande und in neuen Beziehungen wieder auftauchen sieht. Der rothe Faden der Tradition verbindet den rhodischen Ritter Gozon des Mittelalters mit dem alten rhodischen Schlangentödter der Heidenzeit, der in seinem Ursprung „den übrigen Drachentödtern der Urzeit gleich steht", gerade wie im deutschen Volksglauben Könige und andere berühmte Helden von Dietrich v. Bern bis zum alten Sparr zu des grossen Kurfürsten Zeit herab in Wodans Stelle in der wilden Jagd eingerückt sind 1).

Die Tradition hat eine stille, aber gar grosse Macht. Sie ist gleichsam das poetische Stillleben der Menschheit, das durch alle Kämpfe und Wandlungen der Zeiten ruhig sich fortspinnt. Nicht in der Sprache allein, auch in Sage und Aberglauben verknüpft sie die fernsten Zeiten und ein Jahrtausend ist oft vor ihr wie gestern und heute. Man muss sie nur nicht mit dem Mass der Geschichte, sondern mit ihrem eigenen messen. Sie zählt nicht nach Jahrhunderten, sondern ächt menschlich nach Generationen. Wenn uns Deutschen das gesammte Heidenthum etwa nur 30 Generationen rückwärts liegt, also nur 30 Mal, was das Volk festhielt, sich fortzupflanzen brauchte, um aus jener Zeit bis zu uns zu gelangen, so sind wir mit 60 Generationen auch bei anderen Völkern noch auf rein heidnischem Boden, und mit 90 haben wir schon selbst alle wirkliche Geschichte überschritten, wo nichts herrscht, als das sagenhafte es heisst".

1) vergl. d. heutige Volksglaube p. 9. Dies Fortrücken und Uebertragenwerden historischer Sagen namentlich habe ich ebendaselbst p. 7 besonders an der Sage vom Schildhorn bei Spandau dargelegt, die zuerst uns ausser von Jazco von Köpenick, von einem Ritter, dann vom grossen Kurfürsten, ja vom alten Fritz erzählt wurde, zu welchen Versionen ich noch nachträglich zwei erhalten habe, die den kühnen Schwimmer,,Gustav Adolph" gar oder einen General,,Schild" sein lassen.,,Zur Zeit des dreissigjährigen Krieges", wurde mir nämlich mitgetheilt,,,kam der König G. A. auch in unsre Gegend, und da er einst von einer Abtheilung der Feinde verfolgt wurde, so floh er. Aber die Havel lag ihm im Wege. Beherzt sprang er in voller Rüstung hinein und erreichte auf dem Pferde schwimmend das entgegengesetzte Ufer, wo er an einem Baume sein Schild und Horn aufhängte".

Erstes Capitel.

Die Schlangen- und Drachengottheiten.

Wenn die voranstehenden Bemerkungen im Allgemeinen orientiren sollten, sollten sie auch zugleich empfänglicher machen für den Ausgangspunkt des nachfolgenden Theils der Untersuchungen, zu dem auf einer Sagenreise einmal ein schlichter Bauer der Magdeburger Börde den ersten Anstoss gab, indem er bei einem heftigen Gewitter, als ein prächtiger Blitz über den Himmel hinzüngelte, von der Erscheinung ergriffen ausrief: Was für eine prächtige Schlange war dies! Das war nun zwar im Grunde nicht viel Anderes, als wenn unsre Sprache von sich schlängelnden Blitzen redet, der Grieche i von Blitz und Schlange gebraucht, Aristoteles eine Art Blitz mit Elixias bezeichnet 1), aber es macht doch einen eigenthümlichen Eindruck, wenn man bei einem solchen Repräsentanten des natürlichen Theils des Volkes, wie eben jener Bauer es war, im unmittelbarsten Gefühl eine derartige Anschauung zum Durchbruch kommen sieht, dass man empfindet, so müsse mehr oder weniger in einem ähnlichen Falle jeder Naturmensch empfunden haben. Natürlich war es zumal, dass dieser Eindruck verstärkt wurde, wenn ich an des Dichters Worte dachte:

,,Unter allen Schlangen ist eine

Auf Erden nicht gezeugt,

Mit der an Schnelle keine,

An Wuth sich keine vergleicht“.

Seit der Zeit bin ich der Spur dieser Schlange nachgegangen und zu der Ueberzeugung gekommen, dass überall, wo in den indogermanischen Mythologien Schlangen oder Drachen, welche sich nur von jenen durch Flügel oder durch eine mythischere Ausbildung ihrer Gestalt im Allgemeinen unterscheiden 2), auftreten, wir es ur

1) Aesch. Prom. 1064: ἕλικες δ ̓ ἐκλάμπουσι στεροπῆς ζάπυροι „und des Blitzstrahls,,schlängelnde" Lohe entbrennen in Glut". (so Schoemann, nicht radius, wie Wellauer Lex. es wiedergiebt.) Eurip. Herc. F. 395: Spáxovтa πupσóνωτον, ὃς ἄπλατον ἀμφελικτὸς ἕλικ ̓ ἐφρούρει, κτανών (Herc.). Ἑλικίαι sind bei Aristot. mund. 4. die Blitze ypaμuaтoeidws pepóμevol.

2) S. Grimm, Myth. p. 652 ebend. auch überhaupt das Hauptsächlichste vom Schlangencultus bei Deutschen und Nachbarvölkern. Nur ein paar Beispiele hier aus Grimm, die im Verlauf der Abhandlung nicht weiter berührt werden. Die Longobarden verehrten eine goldene Schlange als summus deus, Odhin führte die alten Schlangeneigennamen Ofnir und Svâfnir. Die alten Preussen unterhielten ihrem Protrimpos eine grosse Schlange; von den Litthauern sagt Adam Brem. in Hist. eccl. c. 224: dracones adorant cum volucribus, quibus etiam vivos litant homines, quos a mercatoribus emunt, diligenter omnino probatos, ne maculam in corpore habeant, pro qua refutari dicuntur a Draconibus.

« PreviousContinue »