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DER

URSPRUNG DER MYTHOLOGIE

DARGELEGT

AN GRIECHISCHER UND DEUTSCHER SAGE

VON

DR. F. L. W. SCHWARTZ,

OBERLEHRER AM HIESIGEN FRIEDR. WERDERSCHEN GYMNASIUM.

BERLIN,

VERLAG VON WILHELM HERTZ.

(BESSERSCHE BUCHHANDLUNG.)

1860.

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Vorrede.

Die Mythologie hat bisher ein eigenes Geschick gehabt. Ein wunderbarer Zaubergarten, voll der schönsten, menschlichen Gebilde, zog sie zu allen Zeiten die Menschen an, ward aber meist bei dem Versuche, sich in ihr zurecht zu finden, zu einem Irrgarten, in dem die Phantasie sich verlor, weil man sie in der Regel mit dem Maasse ganz anderer, ihr diametral entgegengesetzter Zeiten mass. Besonders galt dies von der classischen Mythologie. Wo nicht dieselbe als blosses Sagenmaterial, als poetischer Stoff der alten Dichter und Künstler, einfach historisch-ästhetisch behandelt wurde, entbehrte sie bis jetzt der sicheren Grundlage und gab den verschiedensten Deutungen Spielraum, indem die Einen historische Reminiscenzen, die Andern mehr oder minder tiefsinnige Natursymbolik oder wohl gar philosophische Speculation in bildlichem Gewande in ihr suchten. Selbst die neusten und gründlichsten Forschungen, wie die von Preller, stehen, was die Erklärung des Ursprungs derselben anbetrifft, im Allgemeinen noch auf einem künstlichen Standpunkt und, selbst wo sie im Einzelnen dem Richtigen nahe kommen, entbehren sie doch noch immer der Grundlage, von der allein aus die volle Lösung dieses Problems und eine richtige Behandlung der Mythologie möglich ist, nämlich der Voraussetzung, dass man es dabei mit den mehr oder minder rohen Anfängen des ,,menschlichen Glaubens" zu thun hat, und hiernach Alles bemessen werden müsse. Mit Hinzufügung die

ses Elements löst sich aber auch die Mythologie aus der untergeordneten Stellung einer historischen Hülfswissenschaft und wird zu einer selbstständigen Wissenschaft, welche den Zweck hat, die Geschichte des menschlichen Glaubens in seinen Anfängen und weiteren Entwicklungen darzulegen.

Diesen gläubig-volksthümlichen Standpunkt zuerst in die Mythologie eingeführt zu haben, ist das Verdienst Jacob Grimm's, indem er das nur aus dürftigen, historischen Notizen bekannte Heidenthum unsrer Väter aus der lebendigen, vom Volke noch in theilweiser Unmittelbarkeit getragenen Sage und Tradition wie mit einem Zauberschlage entwickelte. Bedeutsam wies er dabei auf die überall hindurchbrechenden Analogien derselben mythologischen Gestaltungen hin, die in den verschiedensten landschaftlichen Spielarten auftreten. Ebenso wichtig erwies sich auch die Parallele zwischen der Mythologie des deutschen Festlands und des verwandten Nordens. Zahlreiche Sagensammlungen, in allen Gauen Deutschlands veranstaltet, führten des Meisters Entwurf aus, so dass die bis dahin nicht gekannte deutsche Mythologie mit ihren rohen, volksthümlichen Elementen des Aberglaubens und der Gebräuche in einer Ausführlichkeit vorliegt, wie die keines anderen Volks.

Aber dies Gesetz der Analogie und die Anlehnung der Göttergestalten an die Masse des mit der Natur noch in enger Verbindung stehenden Aberglaubens zeigte auch zugleich den Weg zur Lösung der Frage vom Ursprung der Mythologie überhaupt, indem es dahin führte, in ihr das parallel der sprachlichen Entwicklung laufende Product des Glaubens der Vorzeit zu erkennen, verwachsen mit jener durch eine beide beherrschende gemeinsame Art der Anschauung. Von diesem Standpunkt aus schrieb ich mein Programm über „,den heutigen Volksglauben“, in welchem ich die deutschen Göttergestalten des Wôdan und der Frigg in ihren Hauptzügen aus der gläubigen Auffassung des im Gewitter auftretenden Sturmes und der Windsbraut in

Anschluss an die auch noch in der Sprache nachklingenden Anschauungen entwickelte. Kuhn hatte inzwischen in zahlreichen Aufsätzen, neben seinen sprachlichen Untersuchungen, auch auf mythologischem Gebiete dem Grundsatze Bahn gebrochen, dass nicht bloss die sprachlichen, sondern auch die mythologischen Urelemente der indogermanischen Völker dieselben seien; seine Parallelen zwischen Hermeias und Sâramêjas, Erinnys und Saranju sind unabweisbar. Später ging er auch noch unmittelbarer auf die Anwendung der Analogie ein in seinem Aufsatze über „die weisse Frau" in (Wolff's) Mannhardt's Zeitschrift, in welchem er in ihr die Wolkengöttin nachwies. Gleichzeitig mit meinem Programm über die Schlangengottheiten" schrieb er das seinige „über die Herabholung des Feuers bei den Indogermanen". Auf dieselben Principien sich stützend, liess auch Mannhardt darauf sein umfangreiches Werk, unter dem Titel „Germanische Mythenforschungen“, erscheinen, dem jetzt seine populäre deutsche Mythologie gefolgt ist.

Wie Kuhn sein erwähntes Programm zu einer umfassenden Behandlung des betreffenden reichen, mythologischen Stoffs in dem kürzlich bei Dümmler erschienenen Werke „,über die Herabkunft des Feuers und des Göttertranks bei den Indogermanen“ Veranlassung gegeben, ist auch mein Programm über die Schlangengottheiten hier zu einem Buche angewachsen, welches die hauptsächlichsten Thierwesen der griechischen und deutschen Götterwelt und die sich daran schliessenden Mythen behandelt1). Es zeigt dieselben nicht, wie man bisher gemeint,

1) Wenn in der Einleitung und im Anfang des I Kapitels öfter wörtliche Anklänge an Mannhardt's populäres Buch vorkommen, so erklärt sich dies daraus, dass es Partien sind, welche ich aus meinem Programm über die Schlangengottheiten hier wieder aufgenommen habe, welches derselbe bei seiner Darstellung schon benutzen konnte. Namentlich gilt dies von den Stellen, wo ich meine Theorie von dem Ursprung der Mythologie aus gläubiger Naturanschauung entwickle, wo ich handle von dem, was ich niedere Mythologie genannt, ferner

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