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Dichters, der eben nur die zwei bedeutendsten Männer auf Seite der Gegner hervorheben wollte.

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Wenn wir nun die Darstellung der römischen Helden bei Silius im Vergleich mit der bei Livius betrachten, so ergeben sich daraus wieder mehrfache Differenzen. Silius rückt nämlich in seinem Werk - und das musste er als epischer Dichter wohl thun die Haupthelden besonders in den Vordergrund (man vgl. die oben citierten Worte: quantoque ad bella crearit et quot Roma viros), sagt mehr zu ihrem Lob als Livius und verschweigt dagegen einzelnes, was für ihre Glorifizierung weniger geeignet erscheinen mochte. Diese Helden sind Q. Fabius Maximus Cunctator, P. Cornelius Scipio, resp. das ganze fabische und scipionische Geschlecht, zwischen ihnen M. Claudius Marcellus 1).

Was zunächst den Cunctator anlangt, so finden wir sein und seiner gens Lob an verschiedenen Stellen der Dichtung, wo sich nur immer Gelegenheit fand, eingeflochten, so I 679 ff.; II 3; VI 613-6402); VII 1-170, bes. 20-68 und 147, wo Hannibal selbst ausruft, an der Trebia und am Trasumennischen See wären die Römer nicht geschlagen worden, wäre Fabius zur Stelle gewesen. Als wirkliche Differenzen mit Livius sind folgende hervorzuheben:

Als sich infolge der zögernden Kriegsführung des Fabius grosse Unzufriedenheit im römischen Lager erhebt, tritt bei Livius XXII 14, 4 Minucius auf mit einer Ansprache an die Soldaten, infolge deren es § 15 heisst: Si militaris suffragii res esset, haud dubie ferebant Minucium Fabio ducem praelaturos. Fabius erwidert bei Livius auf die Rede des Minucius nicht, dagegen hält er bei Silius VII 219-252 eine glänzende Rede, durch welche er die erregten Gemüter beruhigt. Wir werden weiter unten sehen, dass Silius oft da eine Rede bringt, wo eine solche bei Livius fehlt, und umgekehrt. Werden wir da wohl mit Heynacher S. 30 annehmen müssen, dass Silius seine Rede aus fabischer Quelle geschöpft hat? gewiss nicht, da wir ja wissen, dass die ältere Annalistik einfach und schmucklos

1) vgl. darüber des Dichters eigne Worte VIII 253 ff.

2) vgl. bes. v. 627 Stirpe genus clarum, caeloque affinis origo, und VII 19 Summe ducum Surge, age, et emerito sacrum caput insere

caelo.

schrieb und ihre Darstellung nicht mit rhetorischen Ergüssen zu verschönern suchte 1). Die Rede ist des Dichters eigenes Werk, erfunden zum Ruhm des Cunctator.

Aus demselben Grunde hat Silius von den beiden Gefechten bei Gereonium, in denen Minucius von Hannibal geschlagen wird, nur eines berichtet. Nach Livius XXII 24 nämlich lässt sich Minucius in einen Kampf mit jenem ein und wird schliesslich gerettet durch den Samniten Numerius Decimius; c. 28 in einen zweiten Kampf, aus dem ihn c. 29 Fabius befreit. Mag nun Keller 2) Recht haben oder nicht, wenn er behauptet, dass der zweite Bericht des Livius nichts anderes sei als eine Doublette zum ersten, erfunden in maiorem Fabii gloriam - jedenfalls begreifen wir, warum Silius nur von dem zweiten Gefecht spricht. Ausserdem hat er, um seinen Zweck die Verherrlichung des Fabius - besser zu erreichen, die Sache auch viel grossartiger und bedeutender gemacht, als sie nach dem Bericht des Livius uns erscheinen muss; vgl. die trefflichen Bemerkungen Rupertis zu VII 567. - v. 713 lässt der Dichter auch den Sohn des Fabius tapfer ins Gefecht mit eingreifen, wovon keine andere Quelle berichtet 3); wollte er dadurch vielleicht eine Parallele herstellen dazu, dass auch des Consuls P. Cornelius Scipio junger Sohn, der spätere Africanus maior, in der Schlacht am Ticinus mitkämpfte 4), sogar aus derselben seinen verwundeten Vater rettete? und dazu, dass auch des Marcellus Sohn in dem Kampfe zwischen Venusia und Bantia mitfocht 5), in dem der Consul Marcellus selbst fiel? Nichts erscheint wahrscheinlicher als diese Annahme.

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Bezeichnend ist ferner der scheinbar geringfügige Unterschied, dass, während nach Livius XXII 30, 2 nur Minucius den Fabius aus Dankbarkeit für seine Rettung pater nennt, nach Silius v. 735 das ganze Heer dies thut: Fabiumque decus Fa

1) vgl. C. Peter, Zur Kritik der Quellen der älteren römischen Geschichte S. 52.

2) Der zweite punische Krieg und seine Quellen, Marburg 1875, S. 203 ff.; dagegen u a. A. v. Breska, Untersuchungen über die Quellen des Polybius im dritten Buche, Berlin 1880 S. 66.

3) Bekannt ist derselbe aus Liv. XXIV 9; 12; 43 ff.

4) IV 417 ff.

5) XV 343 ff.; Liv. XXVII 27, 7.

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biumque salutem Certatim et magna memorabant voce parentem, ebenso VIII 2 ... Romana parentem Solum castra vocant; solum vocat Hannibal hostem. Ueberhaupt findet der Dichter am Ende des VII Buches kaum Worte genug, um seinen Helden würdig zu preisen; v. 746 ff. werden ihm sogar Altäre aus Rasen errichtet und ihm, wie einem Gott, Dankopfer dargebracht.

Ebenso hebt der Dichter X 283 den Fabius mehr hervor als Livius XXII 49, indem er den in der Schlacht bei Cannae verwundeten Consul Aemilius Paullus dem fliehenden Lentulus zurufen lässt, er solle in Rom ausrichten, man möge dem Fabius die Zügel des Staates in die Hand geben; nach Livius a. a. O. § 10 sagt Paullus nur, Lentulus möge nach Rom eilen und in seinem Auftrage befehlen, die Thore der Stadt zu schliessen; ferner möge er dem Fabius sagen, er sei eingedenk seiner Befehle gewesen u. s. w. (vgl. Heynacher S. 38). Ganz ähnlich verhält sich Sil. X 605 im Vergleich mit Liv. XXII 61, 14 (vgl. Heynacher S. 44) bei der Heimkehr des Varro; nach Livius empfängt die Bürgerschaft aus eignem Antrieb den schuldbeladnen Feldherrn noch dankend, während nach Silius erst ein Fabius auftreten muss, um das Volk zu so grossartiger Gesinnung umzustimmen d. h. mit andern Worten: der Dichter erwähnt nicht schlechthin das Faktum, sondern bringt dasselbe mit seinem Helden in einer für denselben rühmlichen Weise in Verbindung. Ebenso lässt Silius v. 598 ff. das, was Livius XXII 57, 10 von dem Diktator M. Iunius und seinem Reiterobersten Ti. Sempronius sagt: arma tela alia parari iubent, et vetera spolia hostium detrahunt templis porticibusque auf die Aufforderung des Fabius hin geschehen, indem er ihn ausrufen lässt: ite, ite ocius, arma Deripite, o pubes, templis; vos atria raptim Nudate et clipeos in bella refigite captos.

Ein weiteres Beispiel bietet Sil. XI 55 ff. zu Liv. XXIII 6, 6 (Heynacher S. 45). Livius berichtet, die Bewohner von Capua hätten nach dem Bericht einzelner Quellen vor ihrem Abfall zu Hannibal Gesandte nach Rom geschickt mit der Forderung, künftighin solle ein Consul aus ihrer Mitte gewählt werden, wenn anders die Römer wollten, dass Capua resp. Campanien auch noch weiter ihnen gegen Karthago helfen sollten. § 8 sagt dann Livius weiter, er wage es nicht, diese Gesandtschaft als sicher hinzustellen, einmal weil die Sache so viel

Aehnlichkeit habe mit der einstigen Forderung der Latiner, und dann, weil Coelius und andere Autoren davon schweigen. Es ist diese Stelle des Livius ein treffendes Beispiel für eine Doublette oder, wie Th. Zielinski 1) will, Dittographie, die jedoch schon von Livius und wahrscheinlich auch von Coelius als solche erkannt worden ist. Silius nun schildert trotz der Bedenken des Livius die Gesandtschaft als wirklich geschickt, und warum? weil sie ihm Gelegenheit gibt, den Fabius Cunctator in zürnender Rede voll patriotischer Entrüstung auftreten zu lassen 2).

Endlich gehört hieher noch Sil. XV 320-333 zu Liv. XXVII 16, 1-8. Silius erzählt die Einnahme Tarents durch Fabius übereinstimmend mit Livius. Um auch hier eine Differenz zwischen beiden nachzuweisen, hebt Heynacher S. 59 folgende zwei Punkte hervor: a) Silius sage, dies sei die letzte That des Fabius gewesen, eine Bemerkung, welche bei Livius fehle und für eine fabische Quelle spreche; b) Silius verschweige die Grausamkeit des Fabius und seines Heeres, von der Livius a. a. O. berichtet. Wir werden diese Differenzen nicht mit Heynacher auf eine fabische Quelle zurückführen, sondern einfach so erklären: die Grausamkeit des Fabius verschwieg der Dichter, um seinem Helden, dessen letzte That er hiemit berichtet, keinen Makel anzukleben; und wenn er sagt, es war seine letzte That, So heisst das doch nichts anderes als: mit diesem Helden bin ich zu Ende; es folgen die Thaten andrer. Es hiesse wahrlich dem Dichter jede freie Bewegung abschneiden, wollte man ihn auch solche Bemerkungen erst aus irgend einer Quelle hervorholen lassen.

Gehen wir nunmehr über zu dem Geschlechte der Scipionen; wir begegnen hier derselben Erscheinung, wie bei Fabius, dass nämlich der Dichter jede Gelegenheit dazu benützt, den Glanz und Ruhm der Scipionenfamilie zu preisen.

In der Schlacht am Ticinus wird der Consul P. Cornelius Scipio verwundet, aber aus dem Schlachtgewühl gerettet und zwar nach Coelius (Liv. XXI 46, 10) von einem ligurischen Sklaven 3). Livius fügt hinzu, er möchte lieber glauben, dass

1) Die letzten Jahre des zweiten punischen Kriegs, Leipzig 1880 S. 55.

2) vgl. auch A. Vollmer a. a. O. S. 14, der für diese Gesandtschaft den Valerius Antias als Quelle annimmt.

3) vgl. Macrob. Sat. I 11, 26 ipsum C. Scipionem Africani patrem

es von dem Sohne des Scipio wahr sei. Silius IV 417-479 erwähnt natürlich nur diesen und findet hiedurch Gelegenheit, die erste Heldenthat des feurigen Jünglings, des späteren Africanus, in glänzenden Farben auszumalen. Wie einst Aeneas seinen Vater Anchises aus den Flammen Troias, so trägt der siebzehnjährige Scipio seinen Vater auf den Schultern vom Kampfplatz, so dass ob solchen Schauspiels den Kämpfenden die Geschosse entsinken u. s. w. (v. 465-471); der Kriegsgott selbst ruft von hohem Wagen herab, Karthago werde er einst zerstören, aber kein schönerer Tag im Leben werde ihm strahlen als dieser. Ebenso wie hier der Dichter den Kriegsgott auf die grosse Zukunft des Jünglings hinweisen lässt, thut er es auch durch ein Omen vor der Schlacht IV 105-130: hoch am Himmel verfolgt ein Habicht Tauben; schon hat er dreimal fünf dem Tod geopfert und jagt nun die letzte, die auch schon matten Fluges dahinsank; da kommt zuletzt Iuppiters Vogel, der Adler, einhergerauscht und vertreibt den Habicht; alsdann trifft er aufkreischend mit des Schnabels Spitze den Helm des jungen Scipio und schwingt sich wieder zu den Sternen empor. Die Deutung liegt auf der Hand.

Zum Ruhme des in der Schlacht am Ticinus verwundeten Consuls Cornelius Scipio dient bei Silius IV 621, dass er trotz seiner Verwundung auch tapfer in der Schlacht an der Trebia mitfocht: innumeris infestat caedibus hostem. Nach Livius XXI 56 war er während der Schlacht krank im Lager geblieben und wird erst nach derselben durch seinen kühnen Marsch an den Feinden vorbei der Retter von Tausenden, vgl. Woelfflin zu 56, 9; vgl. übrigens Schlichteisen S. 30.

Weiter schildert Silius VIII 546-558 vor der Schlacht bei Cannae genau die Thätigkeit des jungen Scipio, wie er sich, dem Heere ein leuchtendes Vorbild, übt in allen kriegerischen Uebungen; aus Livius XXII 53, 2 wissen wir nur, dass er die zweite Legion als tribunus militum befehligte. In der Schlacht bei Cannae selbst, wo seiner von keiner Quelle Erwähnung geschieht, lässt der Dichter ihn IX 424-485 einen Zweikampf mit Hannibal bestehen resp. an Stelle des Varro übernehmen. Diese erste Gegenüberstellung der beiden grossen Männer begleitet er mit

postquam cum Hannibale conflixerat saucium in equum servus imposuit et ceteris deserentibus solus in castra perduxit.

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