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Die Ansicht), dass Silius Italicus das in seiner Dichtung verarbeitete historische Material vorzugsweise dem Werke des Livius entnommen habe, war nach dem Vorgange älterer Editoren, wie Drakenborchs u. a., von den letzten Herausgebern der Punica 2), Ernesti (Leipzig 1791) und Ruperti (Göttingen 179598), in ihren Kommentaren zu einer gewissen Sicherheit erhoben worden; so äussert sich der letztere in seiner commentatio de Silii vita et carmine p. XXXIII: difficillimum est, singulos enumerare, a quibus sua sumserit poëta noster: etsi non est, quod dubitemus, quin Livii potissimum vestigiis institerit, cuius et verba passim sua fecit et auctoritatem plerumque in narrationis cum ordine, tum discrepantia secutus est, quod iamdudum alii observarunt, et ipse in commentario meo permultis exemplis demonstravi. Infolge dessen haben sich W. Cosack, Quaestiones Silianae, Halle 1844, und E. Wezel, De C. Silii Italici cum fontibus tum exemplis, Leipzig 1873, weniger eingehend mit der

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1) Vorliegende Abhandlung ist eine Neubearbeitung und Erweiterung eines Aufsatzes, der in den Blättern für das bayerische Gymnasialschulwesen" Bd. XVII S. 145-159 und S. 201-213 abgedruckt ist. Ueber die inzwischen erschienenen Arbeiten, welche denselben Gegenstand behandeln: J. Schlichteisen, De fide historica Silii Italici quaestiones historicae et philologicae, Koenigsberg 1881 und A. Kerer, Ueber die Abhängigkeit des C. Silius Italicus von Livius, Programm des k. k. Staatsgymnasiums in Bozen, Schuljahr 1880-81, vergleiche man S. 6.

2) Die Aussicht auf eine neue kritische Ausgabe ist leider durch den Tod des um die Kritik des Dichters hochverdienten Dr. H. Blass wieder hinausgeschoben.

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Prüfung gerade dieser Frage beschäftigt, sondern in ihren Arbeiten mehr oder weniger andre Ziele verfolgt; so hat Cosack sich für den Quellennachweis mit der Citierung einzelner Stellen begnügt, im übrigen in richtiger Beurteilung des Dichters als Dichter hauptsächlich gehandelt von der fides historica desselben. Wezel dagegen sucht besonders die ausser Livius benützten Quellen zu eruieren. Erst M. Heynacher unterzog jene Frage einer neuen Untersuchung, zuerst in seiner Dissertation „Ueber die Quellen des Silius Italicus, Ilfeld 1874", und dann in dem Programm der Ilfelder Klosterschule vom Jahre 1877 „Die Stellung des Silius Italicus unter den Quellen zum zweiten punischen Krieg" (Separatabdruck bei Weidmann, Berlin 1878). Er kommt zu dem Resultat, dass Livius nicht die Hauptquelle des Silius war (S. 65 des Programms), ja dass Silius denselben, wenn auch gekannt, so doch für sein Werk nicht zu Rat gezogen habe (S. 66), dass vielmehr Fabius Pictor oder einer der völlig auf ihm ruhenden späteren Annalisten, etwa Valerius Antias (?) 1), oder ausschliesslich Ennius von Silius benützt worden sei (S. 68). So gründlich nun scheinbar Heynacher bei seiner Beweisführung zu Werke geht, so muss doch das Resultat trotz der von Baehrens, dann von W. Sieglin und jüngst noch von Vollmer 2) gezollten Anerkennung als ein verfehltes bezeichnet werden, weil der Verfasser von ganz falschem Standpunkte aus an seine Arbeit herangetreten ist. Er beurteilt nämlich den Dichter nicht als Dichter, sondern als Historiker, legt also an sein Werk denselben Massstab wie an ein historisches und will jede, auch die geringfügigste Differenz von Livius sofort auf eine andere Quelle zurückführen. Die Verkehrtheit dieses Standpunktes hat bereits H. Blass in seiner trefflichen Rezension der Dissertation Wezels dargelegt 3). Heynacher hat nun seiner vorausgefassten Meinung zufolge das Hauptgewicht gelegt auf die Differenzen, welche sich in der Darstellung der historischen Ereignisse zwischen Silius und Livius finden; er

1) vgl. dazu Schlichteisen S. 116 A. 4.

2) vgl. Bursians Jahresbericht etc. X 1877 S. 52; Sieglin, Die Chronologie der Belagerung von Sagunt, S. 28 Anm. 58, und A. Vollmer, Die Quellen der dritten Dekade des Livius, Programm von Düren 1881, S. 5 u. Ô.

3) Fleckeisens Jahrbücher etc. 1874 S. 471-512, bes. S. 476.

hat deren 66 gezählt. Dagegen hat er die vielfachen und, was die Hauptsache ist, oft wörtlichen Uebereinstimmungen kurzweg auf eine gemeinsame dritte Quelle zurückgeführt. Abgesehen nun von der Unrichtigkeit der Voraussetzung erweist sich sein Resultat schon an und für sich als ganz unwahrscheinlich. Denn eine Beleuchtung desselben ergibt folgendes: Heynacher sucht den Dichter gegen die „landläufige Ansicht, dass er seine Punica nach Livius zusammengezimmert habe" (S. 65), zu verteidigen und ihm dadurch einen höheren Rang unter den Quellen zum zweiten punischen Krieg zu verschaffen. So wünschenswert es nun allerdings für die heutige Quellenkritik wäre, wenn wir aus Silius lediglich die alte fabische Tradition oder den poetischen Bericht des Ennius herauslesen könnten, und so sehr der Wert des Dichters in diesem Falle in unseren Augen steigen würde, so sehr müsste sein Vorgehen vom Standpunkte des Römers aus ein Rückschritt gewesen sein. Denn nach Heynacher wird er unversehens zu einem einfachen Abschreiber resp. Versifikator eines Annalisten, der doch auf viel tieferer Stufe steht als Livius; denn dessen Werk bietet uns eine Verarbeitung der verschiedenen Berichte verschiedener Quellen zu einem schönen Ganzen. Eine Kontamination aus verschiedenen Autoren will Heynacher S. 51 für Silius nicht zugeben. Dass aber dessen Werk contaminiert ist oder auf einem bereits contaminierten Werke beruht, ist schon daraus zu ersehen, dass er dem Cunctator, den Scipionen und dem Marcellus in der Schilderung ihrer Verdienste um den römischen Staat volle Gerechtigkeit widerfahren lässt, was eine spezifisch fabische Quelle nicht that, (denn diese verherrlichte speziell die Fabier auf Kosten der andern); ferner daraus, dass Silius auch Dinge berichtet, welche wir in letzter Instanz auf karthagische Quellen zurückzuführen haben 1). Ennius kann aber auch nicht ausschliesslich die Quelle für Silius gewesen sein. Von seinen Annalen. in 18 Büchern handelte nur das 8. und 9. vom hannibalischen Krieg 2); subtrahieren wir von den 17 Büchern Punica alles das, was als dichterischer Schmuck den historischen Kern umgibt,

1) Dies bestreitet zwar Heynacher und mit ihm Sieglin a. a. O.; dass es sich aber doch so verhält, werden wir unten sehen.

2) vgl. I. Vahlen, Ennianae poesis rell. p. 55 sq. Dazu Sieglin a. a. O. S. 29.

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so bleibt immer noch viel mehr, als Ennius, bei dem doch auch wieder ein grosses Quantum poetischer Ausschmückung angenommen werden muss, in jenen Büchern behandelt haben kann.

Gegen das Resultat Heynachers nun hat sich gleichzeitig mit der vorliegenden Arbeit in ihrer ersten Gestalt (Bl. f. d. bayer. Gymnasialschulw. Bd. XVII S. 145–159 und 201-213) und in teilweise ganz übereinstimmender Opposition erhoben J. Schlichteisen in seiner Dissertation, De fide historica Silii Italici quaestiones historicae et philologicae, Koenigsberg 1881. Schlichteisen beschränkt sich in dieser trefflichen Abhandlung auf die Bücher III-V, also auf die Betrachtung der Ereignisse nach der Eroberung Sagunts bis zu dem Tode des Consuls Flaminius in der Schlacht am See Trasumennus. Diese Beschränkung ermöglichte ihm ein um so genaueres Eingehen auf alle Einzelheiten; besonders Gutes hat er geleistet in dem Quellennachweis resp. der Erklärung der bei Silius in den genannten Büchern vorkommenden Namen; ebenso ist die Opposition gegen Heynacher in durchweg überzeugender Weise geführt. Bald nach der Dissertation Schlichteisens erschien die Arbeit A. Kerers, Ueber die Abhängigkeit des C. Silius Italicus von Livius, Programm des k. k. Staats-Gymnasiums in Bozen, Schuljahr 1880/81. Auch diese Untersuchung beschränkt sich nur auf einzelne Bücher der Punica, nämlich I-IV; sie ist mit anerkennenswerter Sorgfalt und Gründlichkeit geschrieben, leidet aber vor allem an dem Mangel, dass auf die Arbeit Heynachers zu wenig Rücksicht genommen ist, was nach dem Stand der Streitfrage unbedingt notwendig war (vgl. darüber die Rezension in der Philol. Rundschau II Nr. 42 S. 1330 ff.). So wird die vorliegende Abhandlung ihre volle Berechtigung noch haben, da sie die Arbeiten Schlichteisens und Kerers ergänzt: einerseits zieht sie einen grösseren Teil der Punica in ihr Bereich, andrerseits betrachtet sie die Sache von einem andern Gesichtspunkte aus. Es soll nämlich zunächst versucht werden, die zwischen Silius und Livius sich findenden Differenzen unter stetem Hinweis auf die Verschiedenheit ihres gegenseitigen Standpunktes in ein gewisses System zu bringen, worauf der direkte Beweis für die Abhängigkeit des einen vom andern erbracht werden soll durch Vorführung einer Reihe übereinstimmender Stellen. Durch beides gewinnen wir einen Einblick in die geistige Werkstatt des Dichters. Demnach hat der erste Teil zu

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