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handeln von den Differenzen, der zweite von den Uebereinstimmungen.

1. Kapitel.

Von den Differenzen.

Zur Charakteristik des Silius dient eine Stelle aus Plinius dem Jüngeren 1. III ep. 7, wo es unter anderm von ihm heisst, dass sein Fleiss grösser gewesen sei als sein Genie 1) und dass er viele Bücher besessen habe 2). Die Wahrheit des ersten Satzes erkennt jeder, der nur einige Bücher der Punica liest; überall Nachahmung, wenig Originalität. Aus beiden Angaben zusammen dürfen wir schliessen, dass Silius, bevor er an die Ausarbeitung seines Werkes ging, ebenso wie er sich für die Dichtung selbst durch genaues Studium seiner epischen Vorbilder vorbereitet hatte, so auch für die geschichtlichen Thatsachen verschiedene einschlägige Quellen studierte, vielleicht auch aus denselben, was seinem Zwecke dienlich war, exzerpierte. Er mochte also ausser Livius, dessen nationales Werk er gar nicht beiseite setzen durfte, vielleicht einzelne Annalisten, gewiss den Ennius, dem er, wie von Wezel und Heynacher bereits nachgewiesen, manches verdankt 3), möglicherweise auch den Polybius kennen 4). Auf Grund eines solchen umfassenden Ueberblickes sei es dass er die Einzelheiten lediglich im Gedächtnis behielt oder dass er sich dieselben in Exzerpten notiert hatte ging er an die poetische Verarbeitung des Stoffes. Dass ihm als epischen Dichter dabei die historische Wahrheit nicht oberstes Prinzip war, ja nicht zu sein brauchte, wird niemand in Abrede stellen. Ihm, der „,in nationaler Haltung mit der Aeneis wetteiferte", lag daran, Licht und Schatten recht kräftig aufzutragen. War nach Ansicht der Römer, welche die Geschichtsschreibung als ein opus oratorium betrachteten 5), schon der Historiker nicht streng an die Wahrheit gebunden,

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1) III 7, 5 scribebat carmina maiore cura quam ingenio.

2) III 7, 8 plures villas possidebat. multum ubique librorum
3) vgl. auch Sieglin a. a. O.

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4) vgl. Wezel a. a. O. S. 70-80, Blass S. 503 und Schlichteisen

S. 77.

5) vgl. Cic. de legg. I 2, 5.

um wie viel weniger der Dichter, dessen Werk lediglich der Verherrlichung des römischen Namens dienen, aber keine Geschichte sein sollte? Bei ihm durfte der Glanz Roms und seiner Helden durch keinen Makel, auch nicht den geringsten, verdunkelt werden; und wenn er hier mit den hellsten Farben malte, ergab es sich von selbst, dass er auf der anderen Seite um so dunklere zur Anwendung brachte. So durchzieht die 17 Bücher der Punica eine aufs deutlichste zutage tretende Parteinahme für Rom und gegen Karthago, dessen grossem Helden Hannibal der Dichter sogar den verdienten Ruhm absprechen möchte, wenn er II 696 sagt: cui vero non aequa dedit victoria nomen. Nun meint zwar Heynacher S. 11, diese Leidenschaftlichkeit gegen Karthago, die die 17 Bücher der Punica durchwehe, sei nicht des von fremdem Feuer angeglühten Silius eigenes Werk: wohl aber erkläre sie sich in dem Werke eines Zeitgenossen des punischen Krieges, der das Elend Italiens miterlebte und mitfühlte. Nach unsrer Ansicht musste die Begeisterung des Dichters für seinen Stoff und damit auch die Parteinahme für und gegen eine spontane sein, wollte er anders ein Werk schaffen, das seinen Eindruck nicht verfehlen sollte 1). Damit aber kehrt Silius in vielen Punkten zur alten nationalrömischen Tradition zurück und insoferne haben einzelne seiner Angaben einige Bedeutung und setzt sich in Widerspruch mit Livius, welcher auf Grund der von Polybius und Coelius in der Historiographie gemachten Fortschritte jene Tradition in teilweise berichtigter resp. ergänzter Form wiedergibt. Dieser Gegensatz des Silius zu Livius, der schon a priori in der Natur der Sache d. h. in dem verschiedenen Standpunkt des Dichters und Historikers liegt, ist aufs schärfste ausgeprägt in den Einleitungsworten, welche beide ihren Werken vorangestellt haben. Der Dichter beginnt: „Ich besinge die Waffenthaten, durch die zum Himmel empor sich hob der Aeneaden Ruhm, durch die das wilde Karthago oenotrisches Recht dulden musste. Verleih mir, o Muse, die herrlichen Thaten alten Hesperierlan

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1) man vgl. dazu nur Stellen, wie z. B. V 190, wo der Dichter vor der Schlacht am Trasumennus ausruft

Heu dolor, heu lacrimae, nec tot post saecula serae!
Horresco ut pendente malo, ceu ductor ad arma
Exciret Tyrius etc.

des zu künden, welche und wie viele der Helden Rom zu den Kämpfen erkoren, da treulos das heilige Bündnis brechend das Cadmeervolk Streit erhob um die Herrschaft" 1). Livius XXI 1, 1 sagt bei Beginn seiner dritten Dekade, er sei jetzt daran, einen Krieg zu beschreiben, der von allen, die je geführt wurden, der merkwürdigste sei, den unter Hannibals Führung die Karthager mit dem römischen Volke führten. Dort in volltönenden Worten die Ankündigung der Verherrlichung Roms und seiner Helden, hier in schlichter Einfachheit die Ankündigung der Geschichte des grossen Kampfes. Dieser Gegensatz setzt sich dann weiter fort: so ist es bei Silius I 8 ff. nur die Treulosigkeit der punischen Feldherrn und ihr Hass gegen das römische Volk, was den gewaltigen Kampf entbrennen lässt, wenn er sagt: Ter Marte sinistro Iuratumque Iovi foedus conventaque patrum Sidonii fregere duces; atque impius ensis Ter placitam suasit temerando rumpere pacem. Livius XXI 1, 3 deutet für den hannibalischen Krieg wenigstens das Unrecht von Seiten Roms an, wenn er für die Karthager als Motiv zum Krieg angibt, sie seien unwillig gewesen, quod superbe avareque crederent imperitatum victis esse; offener ist sein Zugeständnis § 5... Sardiniam inter motum Africae fraude Romanorum stipendio etiam insuper imposito interceptam. Davon sagt natürlich Silius nichts, obwohl er z. B. auch im XII Buch, wo die Unterwerfung Sardiniens durch T. Manlius Torquatus geschildert wird, Gelegenheit zur nachträglichen Erwähnung gehabt hätte.

Eine grössere Reihe von Differenzen bieten die Charakteristiken der Feldherrn.

Silius I 144-149 schildert den Hasdrubal als grausam, habsüchtig und blutdürstig, während er nach Livius XXII 2, 5 mehr durch Klugheit als durch Waffengewalt die Macht der Karthager in Spanien vermehrte. Wie schon Heynacher S. 10 richtig bemerkt hat, ist dies die von Polybius III 8, 1 getadelte fabische Auffassung; wenigstens erwähnt Polybius den Vorwurf der лhεoveğla; das asper amore sanguinis v. 148 (wovon Poly

1) man wird bei der Betrachtung dieses glänzenden Prooemiums einigermassen an Hor. ep. II 3, 137 erinnert, sowie an die trefflichen Bemerkungen, welche Lessing gelegentlich der Besprechung der Eingangsverse der Messiade an diese Stelle knüpft, vgl. Briefe aus dem zweiten Teile der Schriften 1753. 2. Brief.

bius nichts erwähnt) mochte Silius selbst hinzugedichtet haben in Erinnerung an die inhumana crudelitas, die dem Hannibal nach Liv. XXI 4, 9 vorgeworfen wird; ähnlich hat Silius auch das von Livius a. a. O. § 8 von Hannibal gerühmte: princeps in proelium ibat, ultimus conserto proelio excedebat auf den Spanier Tagus übertragen, indem er von diesem I 160 sagt: primus inire manu, postremo ponere Martem.

Wenden wir uns zu Hannibal selbst. Beide, der Dichter wie der Historiker, setzen ihren Werken eine Charakteristik desselben voran; dabei finden wir den bezeichnenden Unterschied, dass, während Livius XXI 4, 2-8 die Vorzüge des Helden voranstellt und 9-10 seine Fehler folgen lässt, Silius I 56 ff. die Fehler mit grossem Nachdruck hervorhebt, dagegen seine kriegerische Tüchtigkeit erst gelegentlich v. 239 ff. schildert (vgl. weiter u.). Ueberhaupt erkennt man aus der Darstellung des Hannibal bei Silius durch sein ganzes Werk hindurch unschwer die Absicht des Dichters, zweierlei mit besonderem Nachdruck hervorzuheben, einerseits den wütenden Hass des Karthagers gegen alles, was römisch heisst, andrerseits seine wilde, über alles menschliche Mass hinausgehende Furchtbarkeit. Bezeichnend für den ersten Punkt sind folgende Stellen: Silius I 66 fügt zu dem aus Livius XXI 4 Entnommenen hinzu, oft hätten die Diener den Hannibal im Schlaf furchtbare Drohworte ausstossen hören, und wenn sie hinzugeeilt, hätten sie ihn schweisstriefend gefunden, wie im Traume er künftige Schlachten schlug. - III 84 beim Abschied von Weib und Kind lässt der Dichter ihn ausrufen, sein Sohn solle, wenn er zum Jüngling herangereift, das Bündnis mit Füssen treten (calcato foedere) und ihm mit siegreicher Hand einen Grabhügel auf dem Capitolium errichten. VI 698 ff. gelangt Hannibal nach Silius nach Linternum in Campanien; dort sieht er im Tempel historische Gemälde, deren Stoffe meist dem ersten punischen Krieg entnommen sind. Voll grimmen Hasses lässt er sofort alles verbrennen. Hievon berichtet uns ausser Silius von den vorhandenen Quellen auch nicht eine einzige etwas, wie auch Heynacher S. 30 hervorhebt. Wir sind demnach wohl berechtigt, die Geschichte für eine Erfindung des Dichters zu erklären. Die Absicht, die er dabei hatte, ist klar.

Was den zweiten Punkt anlangt, die wilde Furchtbarkeit Hannibals, so machen uns dieselbe folgende Stellen anschaulich.

Schon I 239 ff., wo Silius der kriegerischen Tüchtigkeit desselben Erwähnung thut, sagt er von ihm, er habe selbst die Blitze des Zeus und seinen Donner nicht gescheut: v. 250. . . tum vertice nudo Excipere insanos imbres coelique ruinam. Spectarunt Poeni tremuitque exercitus Astur, Torquentem cum tela Iovem permixtaque nimbis Fulmina et excussos ventorum flatibus ignes Turbato transiret equo etc. 1) Ebenso spottet er XII 628 ff. der Blitze des Donnerers. IV 324 sind sein Gefolge in der Schlacht: circaque Metus Terrorque Furorque; so tritt er auf, wie bei Homer der Wüterich Ares 2). Was Wunder, wenn solcher Furchtbarkeit gegenüber römische Heere weichen mussten? In der That, diese Darstellung des Gegners motiviert dichterisch einigermassen die vielen Niederlagen der Römer und erhöht andrerseits den Ruhm derer, denen endlich seine Niederwerfung gelang.

Weiter gehört hieher folgendes: Nach Polybius III 13, 4 wird die Wahl Hannibals zum Oberfeldherrn durch die Soldaten in Karthago μg rvoun bestätigt. Livius XXI 3 erwähnt nur die Opposition des Hanno als des Hauptes der römisch gesinnten Partei. Silius dagegen I 241 spricht von Gewalt und Bestechung, durch welche die Bestätigung erzielt worden sei, allerdings in etwas unbestimmter Weise: armis consulta senatus vertere, nunc donis (Heynacher S. 10).

Ferner gehört hieher: Sil. XI 252 im Vergleich mit Liv. XXIII 7, 11 und 10. Hannibal fordert gleich nach seinem Einzug in Capua eine Senatssitzung zur Bestrafung des Decius, der allein es gewagt hatte, gegen den Anschluss an die Punier energisch zu protestieren. Da bitten die vornehmen Capuaner, Hannibal möge den Tag seines Einzugs freudig begehen und nichts ernsthaftes an demselben vornehmen; er willfährt ihnen denn auch und bringt den ersten Tag mit Besichtigung der Stadt zu; am folgenden Tag wird dann Decius verurteilt. So berichtet Livius; anders Silius. Nach ihm lässt Hannibal den Decius sofort verhaften und zeigt sich- herrisch 3) und wild v. 233: tonat inde ferocibus alte incessens victor dictis. Niemand wird mit Heynacher S. 45 glauben, dass Silius, der sich sonst, wie wir un

1) vgl auch X 44. 145 ff.

2) vgl. Hom. Il. 4, 440; 15, 119.
3) vgl. bes. die Verse 212-224.

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