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Ueber die

Empfindung der Naturschönheit

bei den Alten.

Von

Heinrich Mok.

Leipzig

Verlag von S. Hirzel.

1865.

Wenn man einen Blick auf die umfangreiche Literatur wirft, welche sich mit unserm Thema beschäftigt, und die Reihe bedeutender Namen mustert, die pro et contra in der Streitfrage über die Begabung der Alten für einen innigen Genuß der Naturschönheit aufgetreten sind, so könnte es scheinen, als kämen wir mit einer Ilias post Homerum.

Die Berechtigung, die Acten einer nochmaligen Revision zu unterwerfen, kann sich nur aus dem Verlaufe vorliegender Arbeit erweisen. Als eine Erklärung für die Nemesis mag Folgendes dienen. Das Trefflichste, was in dieser Sache geschrieben ist, ward nicht in voller Selbstständigkeit der Erforschung derselben gewidmet; es steht in dem Zusammenhang eines so oder so näher bestimmten Ganzen; bei der Abhängigkeit von diesem, bei der dadurch bedingten Verschiedenheit der Gesichtspuncte, der Methoden und Ziele konnten auch abweichende Resultate nicht ausbleiben, wo es auf die Vollständigkeit derselben und einen allgemeineren Abschluß der Untersuchung auch gar nicht abgesehen war. So verhält es sich mit der herrlichen Abhandlung A. von Humboldt's im 2. Theile des Kosmos (S. 1-94). Es kam hier auf das „eigentliche Naturbeschreibende" an; nicht auf die geheime, ungewollte Empfindung, sondern auf den bewußten Preis der Natur. Nicht auf die freien Gebilde der Phantasie, sondern auf die Schilderungen

wirklicher Gegenden,,,die individuelle Auffaffung ganz bestimmter Localitäten" wird der Nachdruck gelegt. Wir werden unten darthun, daß hierin nur ein kleiner Theil unserer Untersuchung beschlossen sei, daß der eigentliche Angelpunct derselben weit abseits hiervon liege. Andere Beschränkungen mußte sich Vischer 1) in der Aesthetik nach der Natur und den Grenzen seiner Aufgabe auferlegen. Diesem großartigen Werke, welches ein gleich hohes Verdienst in dem begrifflichen Aufbau des Systemes und in der sinnvollen und lebensfrischen Ausführung hat, verdanken wir die tiefste Anregung; gern erklären wir von vornherein, in allen ästhetischen Principienfragen von_demselben abhängig zu sein 2). So viele wie im Vorübergehen angestellte Betrachtungen und geistreiche Reflexionen, wie sie in so manchem Werke bedeutender Schriftsteller verstreut liegen, haben am wenigsten die Absicht, einen zusammenschauenden" Ueberblick zu geben, die Sache zugleich allseitig und im Kerne zu erfassen. Sie haben zumeist den Werth und die Stelle von geschichtlichen Parallelen verschiedener Lebensformen, von Vergleichungen, welche die Dinge nur von einer Seite, auf eine bestimmte Analogie hin, ansehen. Wir denken hierbei an Schiller, die Staël (de l'Allemagne),

1) Siehe besonders im 2. Bd. über das Naturschöne und das Schöne in der Phantasie.

2) Wir verweisen hier kurz auf das neu erschienene Werk von L. Friedlaender (Darstellungen aus der Sittengeschichte Roms in der Zeit von August bis zum Ausgang der Antonine. Leipzig. S. Hirzel 1864), das uns leider erst nach völliger Ausführung unserer Abhandl. zu Gesicht kam. Der Abschnitt über das Interesse für die Natur Bd. II. S. 104-22 berührt unser Thema deshalb weniger nahe, weil er von einer Uebergangsperiode handelt, in der wir schon so viele Keime der modernen Lebensform sprießen sehen.

W. von Humboldt (Briefwechsel mit Schiller und Briefe an eine Freundin), J. Burckhardt (die Cultur der Renaissance in Italien, Basel 1860) und andere.

Eine Untersuchung wie die unsrige führt mitten in die Betrachtung des eigenthümlichsten Wesens der antiken Geistesart, der geheimen Tiefen des Empfindungslebens des Alterthums hinein. Hier liegen die leßten Ziele der classischen Philologie; es verlohnte sich nicht, die langen und beschwerlichen Wege derselben zu gehen, ohne das Bemühen, sich das Eigenste des antiken Seins, ein einheitliches Bild dieser einzigen Geistesform zu erschließen. Nimmt unser Thema an jener großen Aufgabe Theil, so wird man auch keinen Ueberdruß empfinden, wieder und wieder Stimmen über dassselbe zu vernehmen.

Um in unserer Frage einen festen Boden der Beurtheilung und ein sicheres Ziel zu finden, könnte sich dem ersten Anblick als der geradeste Weg darstellen, eine Sammlung von Belegen vorzuführen, die in längeren oder kürzeren Schilderungen bedeutender und schöner Natur untrügliches Zeugniß für eine innige Empfindung, eine bewußte Werthschäßung derselben ablegen. Auch sind diesen Weg diejenigen gegangen, welche in selbstständigen Schriften vom Naturgefühl der Alten gehandelt haben. Diese Arbeiten erstrecken sich entweder über das ganze Gebiet der altgriechischen Literatur, wie die Abhandlung Cäsar's 1), oder sie beschäftigen sich damit, den Sinn für die Schönheit der Natur, wie er bei einzelnen Dichtern hervortritt, auf die benannte Art zur Anschauung

1) Ueber das Naturgefühl bei den Griechen. Zeitschrift für Alterthumsw. Jahrg. 7. Nr. 61–65.

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