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Vertretung mit Kriegs- und Friedensrecht, im obersten militärischen Befehl, in Berufung, Eröffnung, Schliessung des Reichstages, in der vollziehenden Verordnungsgewalt.

Auch hier stehen wir vor einem Kompromisse.

Wie das Reichsoberhaupt der Frankfurter Verfassung ein Kompromiss zwischen dem monarchischen Kaiserthum und der legislativen Suveränetät der Volksvertretung war, so ist das Reichsoberhaupt der Unionsverfassung ein Kompromiss zwischen einer monarchischen Exekutive und einem legislativen Kollegium der Regierungen.

Eine so künstliche Bildung musste auf Widerspruch stossen.

Sie fand ihn auf dem Erfurter Parlament, dem im März und April 1850 die Unionsverfassung vorgelegt wurde, in einer doppelten Parteigruppirung. Die einen, die grosse Majorität, die Gothaner, die alten Anhänger des Erbkaiserthumes forderten das Veto des Reichsvorstandes für alle Akte der Gesetzgebung, weil sie nur in der einheitlichen Konzentrirung der gesammten Regierungsgewalt in Einer Hand die genügende Stärke des Reiches fanden. Die andern, die Vertreter des monarchischen Preussenthumes fanden es unerträglich, dass irgend ein Anderer als der König von Preussen auch für Preussen gültige Gesetze geben könne. An ihrer Spitze stand Otto von Bismark. Er forderte in einem verworfenen Amendement, dass Gesetzgebung und Vollziehung sich in der Hand des Vorstandes vereinigen, dass das Fürstenkolleg sich theils zu einem berathenden Staatsrathe theils zur ersten Kammer in der Volksvertretung umbilde. Durchgreifender konnte jedes Kompromiss über die rein monarchische Formation des Bundesoberhauptes nicht zurückgewiesen werden.

Aber Widerstand fand das Kompromiss auch bei allen denen, die die möglichst reine Durchführung der kollegialischen Gestaltung des Oberhauptes forderten, mochte man sie Direktorium, Fürstenkollegium oder Bundesrath benennen. Auf diesem Programme standen selbst die mit Preussen verbündeten Königreiche, hieraus machte Bayern eine Hauptbedingung An Preussen trat die Frage heran, ob in dieser Richtung nicht weitere Konzessionen zu machen seien und es hat dieselben gemacht.

In den vertraulichen Verhandlungen zwischen von Radowitz und von der Pfordten über den Beitritt Bayerns zum Dreikönigsbündniss Juni, Juli 1849 — erklärt es sich zu weitgehenden Zugeständnissen bereit zu der nothwendigen Einstimmigkeit des Fürstenkollegiums bei

Verfassungsänderungen, zu dessen Zustimmung zu allen Vollzugsver ordnungen,,materiellen Inhaltes", zu dessen Mitwirkung bei Kriegserklärungen und Friedensschlüssen und folgerichtig zur Umkehrung der grundsätzlichen Bestimmung der Unionsverfassung in die Formel: „Die Reichsregierung wird von einem Fürstenkolleg geführt, an dessen Spitze ein Reichsvorstand steht."

Die Verhandlungen mit Bayern scheiterten, das Dreikönigsbündniss scheiterte, es scheiterte nicht minder der letzte Versuch einer engeren Union Preussens mit den treugebliebenen Kleinstaaten. Schritt für Schritt in der Reihenfolge der Verfassungsentwürfe vom Siebzehner-Entwurf bis zu den Anerbietungen an Bayern war die monarchische Gestaltung des Reichsoberhauptes, der Grundgedanke des Kaiserthumes, abgeschwächt worden. Aber jede Abschwächung war ein Sieg für die Feinde einer wahren deutschen Staatsbildung bis es endlich Östereich wagen durfte, die alte Bundesverfassung wieder in's Leben zu rufen, als ob Nichts geschehen sei.

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Noch einmal, anderthalb Dezennien herrschte der Förderalismus über Deutschland. Dann brach die grosse Zeit herein, die endlich die vergeblichen Versuche der staatlichen Konstituirung unseres Volkes in Wirklichkeit umsetzte. Ihre rechtlichen Marksteine sind der Prager Friede von 1866 und damit die Absonderung Östereichs, die Verfas sung des norddeutschen Bundes von 1867 und endlich die Verfassung des deutschen Reiches.

Jetzt am Abschlusse blicken wir mit um so grösserer Spannung nach der getroffenen Lösung der Oberhauptsfrage aus, als sie, die Machtfrage im eminenten Sinne ist, nach der politischen Lage ausschliesslich in der Hand Preussens, der Regierungen, des alten Erfurter und jetzt Reichskanzler Fürsten von Bismarck lag. Eine merkwürdige Erscheinung tritt uns entgegen.

In einem wohl beispiellosen parlamentarischen Vorgange hatte vorlängst das Erfurter Parlament den Regierungsentwurf der Reichsverfassung ohne jede Änderung und ohne jeden Vorbehalt angenommen. Es hat dies gethan in der nachdrücklich bekundeten Absicht, damit das Recht des deutschen Volkes auf Verwirklichung des Bundesstaates nach Massgabe des vorgelegten Entwurfes erhalten bleibe, damit dieses Recht auch bei einem augenblicklichen Misserfolge nicht sterbe, sondern nur schlummere.

Die Zuversicht und Voraussage hat sich im weitesten Umfange und in seltener Weise bewährt.

Denn, wenn auch in voller Umgestaltung des Textes, wenn auch selbstverständlich mit mannigfachen Modifikationen im Einzelnen, wenn auch in Rückgriff auf das allgemeine Wahlrecht der Nationalversammlung, die Grundzüge der heutigen Reichsverfassung sind die Grundzüge der vom Erfurter Parlament angenommenen Reichsverfassung von 1849.

Das gilt vorbehaltlos von der für den Bundesstaat entscheidenden Frage, von der Ausstattung nämlich der Reichsgewalt mit ihren Kompetenzen im Verhältniss zu den Einzelstaaten.

Das gilt aber auch, allerdings hier nur im Wesentlichen, von der Organisation der Centralgewalt.

Der Bundesrath unserer Reichsverfassung ist das Fürstenkollegium der Unionsverfassung nur mit einer anderen Vertheilung des Stimmgewichtes unter den Einzelstaaten.

Das Präsidium des Bundes nach unserer Reichsverfassung, das der Krone Preussen zusteht, ist nichts Anderes als der Reichsvorstand der Unionsverfassung.

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Ja im Vergleiche mit der Unionsverfassung und im schroffen Gegensatze zu dem Bismarck'schen Amendement Erfurter Datums, erkennen wir zu unserer Überraschung, dass die Rechte des Reichsvorstandes und jetzt des Präsidiums bis auf den einen Punkt der Stimmeneinhelligkeit bei Verfassungsänderungen diejenigen Abschwächungen erfahren haben, die in der Mitwirkung des Bundesrathes zu Kriegserklärungen, in seinem Vollzugsverordnungsrechte, in dem präsumtiven Zutreffen seiner Beschlussrechte überhaupt, Preussen seiner Zeit bereit war an Bayern zu konzediren. an Bayern zu konzediren. Allerdings diese Konzessionen sind jetzt nur erfolgt unter Einfügung zweier Gegengewichte der hegemonischen Rechte Preussens im Bundesrath durch sein verstärktes Stimmgewicht, durch seine Vetorechte gegen alle Verfassungsänderungen und gegen einzelne gesetzgeberische Massregeln sowie der Eliminirung des Staatenhauses und damit der Berufung des Reichstages zur Vertretung des deutschen Volkes ausschliesslich in seiner Einheit.

In der Hauptsache: auch unsere Reichsverfassung, wie ehemals die Unionsverfassung beruht auf der Theilung der Reichsgewalt; auch sie, wie diese, stellt in der Organisation des Reichsoberhauptes ein Kompromiss dar zwischen der monarchischen Formation im Präsidium, dem im engsten Sinne die Exekutive und zwischen der kollegialischen Formation im Bundesrathe, dem im weitesten Begriffe die Legislative zufällt.

Das Kaiserthum hat daran Nichts geändert. Es ist nur Titel, Rang und Würde des Bundespräsidium.

Wir stehen am Schlusse.

Niemals in einer tausendjährigen Entwicklung ist für uns das Kaiserthum der Ausdruck eines nivellirten Einheitsstaates gewesen. Das war allein das römische und das französische Imperatorenthum, dem sich das Kaiserthum Karls d. Gr. nur annäherte.

Das deutsche Kaiserthum hat stets eine förderalistische Grundlage gehabt, damals als es einem christlichen Weltreiche und später als es einem nationalen Staatswesen vorstand. Es ist immer nur eine monarchische Spitze gewesen, die unter sich staatsartige und diese wiederum als monarchische Bildungen duldete.

Ja selbst in dieser seiner Beschränkung hat das Kaiserthum nur in einzelnen Anläufen und Entwürfen die Zusammenfassung aller Reichsgewalt in voller Geltung des monarchischen Prinzipes erreicht. Positivrechtlich ist das förderalistisch-aristokratische Bildungsprinzip auch in die oberste Organisation der Reichsgewalt eingedrungen.

Trotzdem oder vielmehr gerade darum ist das Kaiserthum in seiner Vernichtung, in seiner Schwäche oder in seiner Kraft immer der sichere Massstab gewesen für die Vernichtung, für die Schwäche oder für die Kraft des nationalen Staatsgedankens in Deutschland.

Auch heute ist es das oberste Symbol für die Einheit des

Vaterlandes.

Noch heute ist es ernste Mahnung für uns Alle, vorab für die jüngere Generation, für Sie, die Komilitonen, die Sie die Kümmernisse und Bitternisse der deutschen Zerrissenheit nicht mehr durchlebt haben, unentwegt festzuhalten an seinem Rechtbestande, treu mitzuarbeiten an seiner vollen Ausgestaltung, damit das deutsche Kaiserthum dem erhabenen Berufe genüge, den Kaiser Wilhelm I. dem deutschen Volke verkündete:

,,allzeit Mehrer des Deutschen Reiches zu sein, nicht an kriegerischen Eroberungen, sondern an den Gütern und Gaben des Friedens, auf dem Gebiete nationaler Wohlfahrt, Freiheit und Gesittung."

Druck von Schmidt & Klaunig in Kiel.

Die Entdeckungen

auf dem

Gebiete der klassischen Philologie

im Jahre 1891.

Rede

zur

Feier des Geburtstages Sr. Maj. des Deutschen Kaisers Königs von Preussen

Wilhelm II.

gehalten

an der Christian-Albrechts-Universität

am 27. Januar 1892

von

Dr. Friedrich Blass

ordentlichem Professor der klassischen Philologie.

Kiel 1892. Universitäts-Buchhandlung. (Paul Toeche.)

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