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Einleitung.

Schon im Juni d. J. 45, als Cicero die Bücher de finibus, 1 den Hortensius und die Academicae quaestiones in ihrer ersten Bearbeitung beendet hatte, war er mit Studien zu dem ersten Buche der Tusculanischen Gespräche beschäftigt und bat Atticus um einschlägliche Bücher 1), doch widmete er dieser Schrift nicht allein seine Zeit. Die 4 Bücher über die Lehren der Akademie wurden umgearbeitet und in 2 Bücher zusammengezogen 2), eine Lobschrift auf Porcia, Catos Gemahlin3), Vorstudien zu der Schrift über das Wesen der Götter), Staatsgeschäfte und Reden nach Cäsars Rückkehr aus Hispanien nahmen zugleich seine Zeit in Anspruch und hinderten ihn an rascherer Vollendung.5) So blieben die Tusculanischen Gespräche während des Winters unvollendet 6), und erst im Mai 44, also nach Casars Tode erhielt Atticus das erste Buch, dem die übrigen Bücher sehr bald gefolgt sein müssen.7) Gegen diese bestimmten Daten, welche uns die Briefe an Atticus an die Hand geben, erscheint die Vermutung, dafs Cicero das Ganze vor Cäsars Tode veröffentlicht habe, weil er sich aller Anspielungen auf dieses für ihn so freudige Ereignis enthalte, nicht stichhaltig. Dafs Cicero die politischen Verhältnisse zu berühren meidet, erklärt sich zur Genüge aus der Äufserung, welche er Mitte Mai 44 an Atticus schreibt (XIV 17, 6 vgl. XV 4, 3), er habe bei Lebzeiten des Tyrannen mit weit geringerer Gefahr als jetzt gegen dessen Partei schreiben können.

Die vielfachen Unterbrechungen, welche die Arbeit erlitt, die 2 schweren Sorgen um die öffentlichen Angelegenheiten und seine eigene Sicherheit, die Cicero während der Abfassung bedrückten, hinderten ihn, die Schrift mit Sorgfalt auszuarbeiten, wovon die Flüchtigkeit in der Behandlung der Fragen, Wiederholungen, Un

1) ad Att. XIII 31, 2 u. 32, 2.

2) ad Att. XIII 12. 16. 21. 25.
3) ad Att. XIII 48.

4) ad Att. XIII 38 u. 39.

5) ad Att. XIII 39 valde enim in scribendo haereo.

6) ad Att. XIV 17,

6.

7) ad Att. XV 2 u. 4,

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klarheit im Ausdruck an einzelnen Stellen und namentlich die Menge der Anakoluthe zur Genüge Zeugnis ablegt. Während Cicero in den im J. 55 und 54 abgefafsten Schriften de oratore, de re publica, de legibus auf Charakteristik der einzelnen Personen, Lebhaftigkeit des Dialogs, anmutige Einleitungen der einzelnen Bücher grofse Sorgfalt verwandte, vernachlässigt er in den späteren Schriften über systematische Philosophie, für die überdies seine Vorbildung weit mangelhafter war, das stilistische Beiwerk. Er hatte eine Sammlung von Einleitungen, aus der er die einzelnen entnahm3), sodass er vor verschiedenen Büchern dieselben Gedanken wiederholte. Überhaupt stehen diese Einleitungen den früheren an Anmut und Glanz der Darstellung weit nach. Während er

in den Büchern de finibus einzelne Personen als Vertreter der verschiedenen philosophischen Systeme auftreten und ihre Ansicht nach Weise der Aristotelischen Dialoge im Zusammenhang vortragen läfst, wendet er in den Tusculanen die Methode an, deren sich spätere griechische Philosophen in ihren Schulvorträgen bedienten. 9) Der Zuhörer stellt eine Thesis auf, der Lehrer selbst spricht dagegen und erörtert die Frage in der Weise, dafs der andere ihn nur bisweilen unterbricht, um sich belehren zu lassen oder die Besprechung einer bis dahin übergangenen Seite der Frage anzuregen, keineswegs aber selbständig seine Ansicht verficht und aufrecht hält. Das dramatische Element also, das in den Büchern de finibus schon sehr zurückgedrängt war, fiel in den Tusculanen so gut wie ganz weg.

Die vortragende Person ist mit M, die fragende mit 4 bezeichnet. Unter A glaubte man irrtümlicher Weise Atticus verstehen zu müssen. 10) Aber Atticus steht zu Cicero in keinem solchen Schülerverhältnis, dafs ihm Cicero diese untergeordnete Rolle, zumal in einer dem weit jüngeren Brutus dedicierten Schrift, zuweisen konnte. Überdies redet Cicero seinen Mitredner II 12, 28 adulescens an, was vollends auf Atticus, der 4 Jahr älter war als Cicero, nicht passen würde. Doch folgt aus dieser Stelle noch nicht, dafs A als adulescens zu erklären sei, nur dafs Cicero unter seinem Mitredner sich einen jüngeren Mann denkt. Vielmehr macht es I 4, 6 ponere iubebam, de quo quis audire vellet wahrscheinlich, dass A auditor bedeutet. Dem entsprechend fordert der Gegensatz M als magister zu erklären, eine Bezeichnung, welche Cicero wohl griechischen Dialogen entlehnt hat. Denn dafs Cicero sich selbst mit Marcus bezeichnet haben sollte, ist auch darum unwahrscheinlich, weil nur bei Anreden in vertrautem Gespräch die Römer das Pränomen zu gebrauchen pflegen.

8) ad Att. XVI 6, 4.
9) de fin. II 1, 1.
10) Lactant. I 15, 26.

Die Schrift wurde dem M. Brutus dediciert, der trotz der 4 Verschiedenheit des Alters und Charakters auf diesem Gebiete der philosophischen Schriftstellerei Cicero unter allen Zeitgenossen am nächsten stand. Er folgte ebenfalls den Lehren der neueren Akademie und hatte Aristus zum Lehrer gehabt, mit dem auch Cicero sehr befreundet war. 11) Brutus war selbst als Schriftsteller aufgetreten, hatte Cicero zu philosophischen Studien wiederholt angeregt und ihm ein eigenes Werk de virtute dediciert. 12) Ihm hatte Cicero schon den orator und die Schrift de finibus gewidmet und nach ihm den Dialog de claris oratoribus benannt. Das Freundschaftsverhältnis zwischen beiden war seit dem Tode Cäsars und Ciceros lebhafterer Beteiligung an den politischen Wirren, trotzdem dieser mit manchen Beschlüssen der Verschworenen nicht einverstanden war, noch enger geworden.

Cicero fingiert, dafs im J. 46, nachdem Brutus zur Verwal- 5 tung des cisalpinischen Galliens abgereist war, eine Anzahl Freunde ihn auf seinem Landgute bei Tusculum besucht und ihm dort die Fragen vorgelegt hätten, auf welche er in den Tusculanischen Gesprächen antworte. 13) Der Morgen war rednerischen Übungen gewidmet, der Nachmittag den philosophischen Gesprächen. 14) Daher hat er denn auch die Schrift Tusculanae disputationes genannt. So nämlich nennt er sie selbst, wo er sie citiert: Tusc. disp. V, 1, 1. de fat. 2, 4. ad Attic. XV 4, 2. de divin. II 1, 2. Dagegen ad Att. XV 2, 4 sagt er prima disputatio Tusculana. Auch Lact. III 13 und Boeth. ad Top. p. 372 ed. Baiter citieren Tusculande disputationes, die Grammatiker meist blofs Tusculanae. Die Bezeichnung Tusculanae quaestiones findet sich nur in jüngeren Hdss. Die Überschriften der einzelnen Bücher fehlen in den besten Hdss., sie rühren nur mittelbar von Cicero selbst her und sind aus der Aufzählung de div. II 1, 2 entnommen.

Dafs ein gewisses Interesse für philosophische Fragen unter 6 den Römern bestand, zeigen schon die Schriften des Ennius. 15) Die erste bestimmte Nachricht, dafs die Römer sich mit griechischer Philosophie zu beschäftigen begannen, erhalten wir durch das Senatsconsult, welches im J. 161 die Rhetoren und Philosophen aus Rom verwies. 16) Trotz dieses und anderer Verbote verbreitete sich die Teilnahme an griechischer Kunst und Bildung überhaupt und besonders an der Philosophie immer mehr, wobei der Aufenthalt der 1000 achäischen Gefangenen in Rom vom J. 167 an wohl nicht ohne Einfluss war. Als daher die Athener im Jahre 155 die

11) Drumann, Geschichte Roms VI 119 u. 181. T. d. V 8, 21.
12) T. d. V 1, 1. 41, 121.

13) T. d. I 4, 8.

14) T. d. II 3, 9.

15) Ribbeck, Gesch. d. röm. Dichtung I 45 f.

16) Suet. de ill. rhet. 1. Gell. XV 11.

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