Page images
PDF
EPUB

samer und langsamer Lektüre zusammensuchen, und es ist in der That erstaunlich, wie er alle möglichen Werke, in denen man kaum etwas für seine Zwecke brauchbares vermutet, ausgenutzt hat. So hat er z. B. eine ganz gelegentliche Notiz des Plinius 1) über ein Liebesverhältnis Hannibals in Salapia, von dem kein anderer Schriftsteller berichtet, herausgefunden und im Leben des Marcellus und Hannibal verwertet'); selbst einen so entlegenen Schriftsteller wie den Sicilier Firmicus. Maternus, der in seiner Schrift über Astrologie seinen Landsmann Archimedes summus mechanicus nennt, hat er herangezogen, um ihn mit dieser Charakteristik als einer den Verdiensten des Mannes nicht entsprechenden abzuweisen. In einzelnen Fällen findet man die verschiedenen, ein bestimmtes Ereignis betreffenden Nachrichten zu einem Ganzen verschmolzen, wie z. B. im Leben des Marcellus dessen Kampf mit dem Gallierkönig Viridomarus 3). Hier hat er die Gesamtsituation dem Frontin entnommen; dass der Kampf sich am Po abgespielt, fügt er aus Valerius Maximus hinzu; dass es bei Clastidium geschehen, entnimmt er Cicero; dass es ein Reiterkampf gewesen, dem Commentar des Servius zu Vergil; dass Marcellus die Waffenrüstung des erschlagenen Königs dem Jupiter Feretrius dargebracht, dem Aurelius Victor oder

1) nat. hist. 3, 103 Salapia, oppidum Hannibalis meretricio amore inclutum.

2) Hannibal p. 450: neque vero tantum modo ille malo ac labori innutritus exercitus circumfusis illecebris enervatus et suarum oblitus est artium, sed dux ipse, quod attento viri rigore fabulosum videri posset, nisi a claris proditum esset auctoribus, apud Salapiam, Apuliae oppidum (o humanum animum inconstantem et passionibus semper obnoxium!) magno nec honesto quidem nec se digno amore correptus est, et bellis indomitum meretricula blanda perdomuit. In der vita des Marcellus p. 290. Erat urbs Apuliae Salapia in qua dictu mirum Hannibal tam trux vir, ut supra diximus dum de eo loqueremur, tamque invictus armis, amore, quod miraculum auget, meretriculae victus erat. 3) p. 254 R. Valer. M. 3, 2, 5.

4, 49.

5.

Front. 4, 5, 4.
Servius ad Aeneid. 6, 855.
Oros. 4, 13, 15.

[blocks in formation]

Cic. Tusc. Flor. 1, 20,

Florus; den Abschluss der gallischen Kämpfe des Marcellus endlich fügt er nach Orosius hinzu 1).

Diese sorgfältige Detailarbeit geht durch das ganze Werk, und es spricht für Petrarcas stilistische Kunst, dass man das Mühsame dieser Art von Arbeit gar nicht merkt. Das Bewusstsein aber, an Kenntnis der Quellen seinen Zeitgenossen voran zu sein, erfüllt ihn mit grossem Stolz, verführt ihn wohl auch zu einem gewissen Prunken mit seiner Kenntnis; wenigstens legt seine Neigung, auch bei geringfügigen Dingen die Differenzen in den Angaben der verschiedenen Schriftsteller hervorzuheben, diese Deutung nahe. Uebrigens folgt er dem Beispiel des Livius, wenn er in solchen Fällen den generalisierenden Plural: variant auctores, ut quidam tradidere und ähnliches braucht, auch wenn es sich nachweislich auch nur um einen einzigen handelt 2).

Man ist geneigt, bei einem Manne von Petrarcas dichte

1) Es ist nicht immer leicht, die Quellen der einzelnen Notizen ausfindig zu machen. Nicht nachweisbar sind mir wenigstens in den sonst von Petrarca benutzten Autoren insbesondere zwei Notizen gewesen. Den dem Minucius Rufus von Livius 22, 29 in den Mund gelegten Gedanken (eum primum esse virum qui ipse consulat, quid in rem sit, secundum eum qui bene monenti oboediat; qui nec ipse consulere nec alteri parere sciat, eum extremi ingenii esse) nennt Petrarca ausdrücklich notissimam illam Hesiodi poetae sententiam, obgleich sowohl Livius wie Cicero, der. die Worte pro Cluent. 31, 84 reproduziert, sie nur wie ein bekanntes Diktum ohne Bezeichnung der Herkunft anführen. Die Petrarcasche Fassung des Schlusses cui utrumque defuerit, nullius pretii esse virum klingt weit mehr an den Ausdruck Hesiods, Werke und Tage 295, i d'avr' ȧzęńios ȧvýę an als des Livius extremi ingenii. Es ist kaum anzunehmen, dass Petrarca den Hesiod besessen, obgleich wir von seinen Bemühungen wissen, ihn durch Sigeros aus Constantinopel zugesandt zu bekommen. S. Nolhac, Pétr. et l'hum p. 322. Die andere Notiz betrifft den Tod des Pyrrhus, der nach allen römischen Quellen durch einen Steinwurf (saxi oder tegulae ictu) erfolgt ist. Petrarca weiss zu berichten, dass dies ein Steinwurf aus Weiberhand gewesen sei. Dies berichtet meines Wissens kein römischer Autor, nur bei griechischen Schriftstellern (Strabo 8, 18 und Plut. Pyrrh. 34) tritt dies Detail auf.

[ocr errors]

2) Z. B. Caesar 22, 2 Schneider, wo nur Lucan 9, 96 gemeint sein kann, und öfter.

rischen Anlagen von vornherein anzunehmen, dass er, schon um seine Leser anmutiger zu unterhalten, seiner Phantasie einigen Spielraum eingeräumt und sich nicht allzu streng an die historische Wahrheit gehalten haben wird. Um so mehr ist man überrascht zu sehen, dass er seiner Phantasie nicht den geringsten Einfluss auf die Darstellung des historischen Thatbestandes gestattet hat. Keinen einzigen Zug hat er in seine Erzählung aufgenommen, den er nicht in seinen Quellen zum mindesten angedeutet gefunden hätte. Handelt es sich um Dinge, die sich thatsächlich nicht erweisen lassen, so bemerkt er wohl ausdrücklich, dass man nur mutmassen dürfe. So z. B. erzählt er in dem Bericht über die Schlacht bei Munda 1), die meisten Schriftsteller, d. h. in diesem Falle Florus und Eutropius, brächten die Nachricht, dass Cäsar an Selbstmord gedacht habe, als die Schlacht für ihn verloren schien; sein Gesichtsausdruck habe auf derartige Gedanken schliessen lassen. Dazu macht er die Bemerkung, „diejenigen, die an der Schlacht teilgenommen, d. h. der Verfasser des bellum Hispaniense, erwähnen davon kein Wort, und es ist in der That schwierig, nicht blos für Abwesende, sondern auch für Anwesende zu sagen, was einer in seinem Herzen für Gedanken bewegt. Ich halte es nicht für unwahrscheinlich, dass Cäsar für den Fall der Niederlage an den Tod gedacht hat. Denn wie hätte vor dem jungen Pompeius ein Mann fliehen können, der dessen Vater, so viele Könige, Heerführer und Völker zur Flucht gezwungen". Glaubte er einmal von von der gewöhnlichen Ueberlieferung abweichen zu müssen, so hat er hierbei, wie eine nähere Prüfung der Quellen ergiebt, nicht nach Laune und Willkür, sondern nach sorgfältiger Erwägung gehandelt, mag diese ihn auch zu einem unrichtigen Ergebnis geführt haben 2). In dem ganzen Werke ist er seinem Grundsatz, nur die historische Wahrheit zu be

1) Caesar 25, 16. Schneider.

2) Ein lehrreiches Beispiel für sein Verfahren findet sich im Leben des Pyrrhus, was im Anhang weiter ausgeführt ist.

richten, treu geblieben, wie er es in der älteren Vorrede ausgesprochen hat 1).

In der Schätzung seiner Quellen beweist er ein gesundes Urteil. Am höchsten stellt er Livius, dessen Berichten er durchweg Glauben schenkt, wenngleich er seine Urteile nicht. immer zu den seinigen macht 2). Sueton hält er für einen durchaus zuverlässigen Gewährsmann, aber auch, so kann man dreist sagen, für einen engen Geist, wie denn die oben erwähnte Polemik gegen die Ueberfüllung der Biographien mit gleichgiltigen Details sicherlich auch gegen ihn gerichtet ist. Florus schätzt er wegen seiner blumenreichen, pointierten Ausdrucksweise und seiner elegantissima brevitas hoch, betrachtet ihn wohl auch im allgemeinen als zuverlässig, obgleich ihm seine zahlreichen Flüchtigkeiten nicht entgangen sind. Von Valerius Maximus hält er schon wegen seines Aberglaubens nicht viel; gegen Curtius und Justin polemisiert er gelegentlich direkt und indirekt; Orosius nennt er einmal in einem Briefe ) etwas despektierlich ille mundi malorum coacervator, an einer anderen Stelle rechnet er ihn, wenn er ihn auch nicht namentlich bezeichnet, mit unter die einfältigen und ungelehrten Schriftsteller 4). Allen seinen Gewährsmännern steht Petrarca mit unbefangenem und selbständigem Urteil gegenüber.

1) praef. bei Nolhac, not. p. 111. Sicut in philosophicis aut poeticis rebus nova cudere gloriosum, sic in historiis referendis vetitum neque mihi fabulam fingere, sed historiam enarrare propositum est.

2) Ueber den Consul Flaminius urteilt er weit günstiger als Livius, dessen Kraftworte wie insita animo temeritas und ähnliches er mildert durch Ausdrücke wie rapidum ducis ingenium, ardentissimi animi vir, animosior quam cautior et felicior. Hannibal p. 438 R. Auch in der Beurteilung des Verhaltens, das der Senat gegenüber dem Consul Terentius Varro nach der Schlacht bei Cannae beobachtete, stimmt er nicht mit Livius überein, der darin eine Grossherzigkeit sieht; Petrarca erscheint es als ein Abfall von den römischen Traditionen, der sich nur aus der Trostlosigkeit der Lage erklären lasse. ib. p. 446.

3) ep. de reb. fam. 15, 9.

4) Ueber die Stellung Petrarcas zu den einzelnen Autoren findet man in Nolhacs Werk, Pétr. et l'hum., Cap. 5-7 erschöpfende Auskunft.

Eine Quellenkritik in modernem Sinne wird niemand bei Petrarca erwarten; was aber seinem Werke für seine und die nachfolgende Zeit seinen besonderen Wert verleiht, ist dies, dass er sich in allen Stücken durchaus an die Quellen des Altertums gehalten, die mittelalterlichen Traditionen aber völlig über den Haufen geworfen hat. Bedenkt man, was diese aus der Geschichte gemacht hatten, so ist es schon eine litterarische That, das Princip der Rückkehr zu den ursprünglichen Quellen zur Geltung gebracht zu haben.

Die Methode, die Petrarca befolgt, ist die, dass er, wo er eine Hauptquelle zur Verfügung hat, wie Livius oder Cäsar, deren Nachrichten, indessen nicht ohne Kritik, acceptiert 1), auch Ergänzungen dazu aus anderen Schriftstellern an geeigneter Stelle einfügt, wenn sie in den Rahmen der Haupterzählung hineinpassen und nicht unwahrscheinlich klingen; stösst er auf Widersprüche bei seinen Gewährsmännern, so

1) Mit welcher Sorgfalt Petrarca seine Quellen gelesen, ersieht man u. a. aus einer Stelle im Leben des Camillus p. 80 R. Livius 6, 6 legt dem Camillus, der sich bei seinen Kollegen im Tribunat für die Bereitwilligkeit bedankt, mit der sie sich seinem Kommando untergeordnet, die Worte in den Mund, dass sie ihn schon zum vierten Male zum Diktator erwählt hätten. Dies macht, sagt Petrarca, den Leser stutzig, da Livius den Camillus späterhin noch zweimal die Diktatur bekleiden lässt, so dass im ganzen sechs Diktaturen herauskommen, während es in Wirklichkeit nur fünf gewesen sind. Er legt sich nun die Sache so zurecht, dass er meint, die Stellung, welche die übrigen Tribunen ihrem Kollegen Camillus freiwillig eingeräumt, sei nicht eine eigentliche Diktatur, sondern nur einer solchen gleich gewesen, Camillus habe amplificando von einer Diktatur gesprochen, wie es ja der Dankbarkeit eigen sei, erfahrene Auszeichnungen mit stärkeren Ausdrücken zu bezeichnen. Bestärkt wird Petrarca in dieser ganz zutreffenden Auffassung durch die Worte eines Mittribunen, welcher erklärte, Camillus werde ihm Diktator und er sein magister equitum sein. Es ist interessant, dass Weissenborn, ohne Petrarca zu kennen, in seiner Ausgabe des Livius 1. c. auf dieselbe Erklärung gekommen ist, während andere Commentatoren einen Rechenfehler bei Livius rügen. Selbstverständlich fehlt es bei Petrarca auch nicht an mannigfachen Versehen und Missverständnissen des Textes, wie sie bei einer über so viele Jahre ausgedehnten und oft unterbrochenen Arbeit natürlich sind.

« PreviousContinue »